Mit der Eröffnung der Deutschlandzentrale von Kühne + Nagel wird der Standort Bremen gestärkt und zugleich an die Tradition der dort 1890 gegründeten Seehafenspedition angeknüpft. Im Vordergrund stehen jetzt vor allem Nachhaltigkeit und die Neuerfindung des weltweit tätigen Logistikdienstleisters.
Fotos: Gabriele Tinscher
Prominent ist das Grundstück an der Bremer Wilhelm-Kaisen-Brücke – und historisch: „Dieser Standort hat für Kühne + Nagel eine große Bedeutung, denn hier befand sich das Stammhaus der 1890 von meinem Großvater August Kühne und seinem Partner Friedrich Nagel gegründeten Seehafenspedition“, berichtet Klaus-Michael Kühne, Mehrheitsaktionär und Ehrenpräsident von Kühne + Nagel International. „Dass die Deutschlandaktivitäten nun erneut vom Weserufer aus geführt werden, bedeutet eine klare Stärkung des Bremer Wirtschafts- und Logistikstandorts.“ Und Hauptniederlassungsleiter Ralf Miehe ergänzt: „Bremen ist Logistik: Die Branche beschäftigt hier direkt und indirekt rund 70.000 Menschen, das sind etwa 25 Prozent der Arbeitsplätze im Bundesland.“
Von besonderer Bedeutung ist für den Standort mit Deutschlands zweitgrößtem Hafen die Schifffahrt – und konkret für Kühne + Nagel der Geschäftsbereich Seefracht. Das zeigt sich auch in der wellenförmigen Fassade des Neubaus, die diese maritime Tradition widerspiegeln soll. Die Architektur begeistert nicht nur den Ehrenpräsidenten und den Hauptniederlassungsleiter: „Ob Kunden, Politik oder Verbände, das Gebäude und seine Architektur kommen gut an und sind ein neues Gateway für unsere Stadt“, berichtet Miehe.
Im Inneren wurden die drei Gebäudeteile mit ihren zehn Stockwerken und einer Bruttogeschossfläche von 13.500 Quadratmetern hingegen elegant, aber schlicht gehalten: „Wir haben uns bewusst für eine puristische Gestaltung der Räume entschieden – nicht aus Kostengründen, sondern aus einer hanseatischen Geisteshaltung heraus“, hebt Miehe hervor. So hängen zum Beispiel in den Büros der 725 Beschäftigten keine Bilder an den Wänden, und auch die persönliche Dekoration wurde minimiert. Dafür gibt es nun ein schickes Bistro und eine Coffeelounge. Bei schönem Wetter können die Mitarbeiter zudem die große Dachterrasse nutzen.
Nicht nur von dort ist der Blick auf die Stadt schön. Besonders beeindruckend ist die Aussicht vom Konferenzraum im neunten Stock, Skylounge genannt. Darauf, dass viel natürliches Licht in die Büros gelangt, wurde ebenfalls geachtet: Insgesamt gibt es 900 große Fenster, die sich auch öffnen lassen.
Nachhaltigkeit im Blick
Auch Ressourcenschonung war ein wichtiges Thema: Schließlich ist der Logistikdienstleister im Rahmen seines Programms „Net Zero Carbon“ seit Jahresbeginn klimaneutral in Bezug auf Scope 1 und 2, also direkt beeinflussbare Faktoren wie Gebäude, Lager und eigene Fahrzeuge.
Fakten
Kühne + Nagel
gegründet: 1890
Hauptgeschäftsfelder: Seefracht, Luftfracht, Landverkehr, Kontraktlogistik und integrierte Logistik
Deutschlandzentrale: Bremen
Mitarbeiter: global knapp 82.000 an 13.000 Standorten in über 100 Ländern, davon 1.100 in der Niederlassung Bremen
Nettoumsatz insgesamt: knapp 21,1 Milliarden Schweizer Franken, davon Seefracht
7,5 Milliarden Schweizer Franken (2019)
Transportvolumen Seefracht: 4,9 Millionen TEU (2019)
„Der Neubau entspricht den höchsten Anforderungen in Sachen Nachhaltigkeit“, erläutert Miehe. „Das Gebäude verfügt zum Beispiel über eine Hochleistungslüftung, und die Fenster haben eine Wärmeschutzverglasung, wodurch wir eine maximale Energieeffizienz erreichen. Mithilfe von Wärmepumpen können wir die CO2-Emissionen für die Beheizung um gut ein Drittel reduzieren.“ Zudem wurde an Mitarbeiter, die umweltfreundlich zur Arbeit kommen, gedacht: So gibt es zwar 154 Stellplätze für Fahrräder, aber nur 17 für Pkw. Überdies gibt es auch Duschen für Radler und Mittagspausensportler. Außerdem stehen am August-Kühne-Haus Stromladestationen für Elektroautos zur Verfügung.
Der Umzug ins neue Gebäude hat darüber hinaus eine weitere wichtige Veränderung gebracht: Dadurch, dass Bremen jetzt Standort der Deutschlandzentrale ist, sind hier nun unter anderem die Steuerungsfunktionen des deutschen Seefrachtgeschäfts gebündelt. Das Geschäftsfeld ist mit seinen insgesamt 600 Mitarbeitern, von denen etwa zwei Drittel im Export und ein Drittel im Import tätig sind, das wichtigste hierzulande und macht etwa 50 Prozent des Umsatzes aus. Zum Vergleich: Rund 150 Personen arbeiten im Landverkehr, 150 in der Kontraktlogistik und 30 in der Luftfracht. Insgesamt sind damit rund 1.100 Menschen für Kühne + Nagel in Bremen tätig, also 375 mehr, als im neuen Gebäude Platz haben. „Es war von vornherein klar, dass wir aufgrund der Größe der Baufläche nicht alle hier unterbringen können“, hebt Miehe hervor.
Mit dem Umzug ist für alle Büros am Standort Bremen auch eine Transformation verbunden. „Die gute alte Zeit mit Handschlag gibt es nicht mehr. Stattdessen befinden wir uns sowohl technisch als auch kulturell in einem völlig neuen Zeitalter“, berichtet der Hauptniederlassungsleiter. Daher sei ein Wandel unausweichlich, von dem selbstverständlich die Mitarbeiter an allen Standorten profitieren. „Gerade weil wir 130 Jahre alt sind, müssen wir uns neu erfinden.“ Das beziehe sich jedoch nicht auf das Hinterfragen von Geschäftsabläufen, was ohnehin kontinuierlich stattfinde. Und auch das nahezu papierlose Büro ist längst gelebter Alltag. „Es geht um eine neue Produktivitätswelt, in der alles im Zeichen von Technik steht“, erläutert Miehe. Entsprechend müsse jeder Prozess, der noch Mechanik beinhalte, digitalisiert oder ausgelagert werden. „Das ist der einzige Weg, um für die Kunden qualitativ und quantitativ positive Ergebnisse zu erzielen.“
Auch die Arbeitsweise habe sich erheblich verändert. Dazu zähle beispielsweise die freie Einteilung der Arbeitszeit zwischen 6 und 20 Uhr mit einer Kernarbeitszeit, sagt Miehe. „Letztlich kommt es in der Welt der Kennzahlen nur darauf an, dass diese erreicht werden.“ Diese Flexibilität werde vor allem von außerhalb von Bremen wohnenden Mitarbeitern sowie alleinerziehenden Frauen und Männern geschätzt. Außerdem stehen zehn teilflexible Arbeitsplätze und vier Eltern-Kind-Büros zur Verfügung.
„Wir haben auch ein Projekt, in dem wir uns mit agilen Arbeitsmethoden beschäftigen“, berichtet Miehe. Die damit einhergehende Abnahme von Hierarchieebenen stehe dabei jedoch nicht im Blickpunkt: „Wir arbeiten bereits mit sehr flachen Hierarchien.“ Ohnehin steht die Tür zum Büro des Hausherrn im neunten Stock den Mitarbeitern offen. Dort teilt Miehe nicht nur gern seinen Ausblick auf die Schlachte, sondern freut sich gemeinsam mit den Mitarbeitern auf die Zukunft im neuen Stammhaus: „Ich wünsche uns hier viel neue Luft unter den Flügeln.“ (cb)
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