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Magazin für Häfen, Schifffahrt und Logistik

Kooperation als Krisenstrategie?

Nicht nur im Hinblick auf die Energiewende und die Transformation zu einer klimaneutralen Wirtschaft steht die maritime Branche vor großen Herausforderungen. Auch mit geopolitischen Konflikten und Cyberangriffen haben die Marktteilnehmer zu kämpfen. Experten vom Kiel Institut für Weltwirtschaft, vom Zentralverband der deutschen Seehafenbetriebe, vom Fraunhofer-Center für Maritime Logistik und Dienstleistungen sowie vom Deutschen Maritimen Institut blicken auf dieses explosive Gemisch aus ihrem jeweiligen Blickwinkel – und mit verschiedenen Ideen zur Zusammenarbeit.

Fotos: iStock/serggn, ZDS 3000px,, Universität Bielefeld, Bundeswehr/Kesler/Rodewald
Vor knapp einem Jahr sprach der LOGISTICS PILOT erstmals mit Professor Julian Hinz, Professor an der Universität Bielefeld und Leiter der Forschungsgruppe Handelspolitik am Kiel Institut für Weltwirtschaft (IfW Kiel), darüber, wie sich die geopolitischen Spannungen auf den Welthandel und die maritime Wirtschaft auswirken. Damals machte er mit Blick auf die Entwicklungen im Roten Meer sowie die Sanktionen gegen Russland und den Iran deutlich: „Aufgrund der geopolitischen Großwetterlage ist ‚De-Risking‘ das Gebot der Stunde. Die Diversifizierung von Lieferketten und Handelspartnern ist ein wichtiges Instrument, um Abhängigkeiten von einzelnen Zulieferern und Ländern, aber auch von Handelsrouten zu reduzieren.“ Heute sagt er: „An dieser Lage hat sich nichts Grundlegendes verändert. Immer noch fahren 70 Prozent weniger Schiffe durch das Rote Meer als vor den ersten Angriffen der Huthi-Rebellen im November 2023. Allerdings hat sich zusätzlich dazu das handelspolitische Klima in der Welt deutlich verschärft.“

Als maßgebliche Faktoren dafür hat er unter anderem die jüngsten Entwicklungen in den USA, insbesondere die Zollpolitik der Trump-Regierung, und den Nahost-Konflikt ausgemacht. „Die USA sind mit ihrer aktuellen Politik ein Herd der Unsicherheit“, so Hinz. Nach seiner Einschätzung reagiert der Welthandel in solchen Situationen zumeist abwartend und stellt geplante Neuerungen und auch Investitionen zurück. Für die Schifffahrt bedeutet das in der Regel weniger Handel, weniger ausgelastete Schiffe und damit eine sinkende Nachfrage und geringere Erlöse. In dieser Situation rät Hinz dazu, aus der Not eine Tugend zu machen: „Europa hat es selbst in der Hand, die richtigen Weichen zu stellen. Zwar wickelt Europa zehn Prozent seines Handels mit den USA ab, was gewiss nicht wenig ist. Aber gleichzeitig gibt es daneben einen Marktanteil von 90 Prozent und viele Partner rund um den Globus, die ähnliche wirtschaftliche Interessen wie die Exportnation Deutschland und die Europäer verfolgen.“ Nun gelte es, mit eben diesen Nationen weitere Handelsabkommen abzuschließen beziehungsweise diese final zu ratifizieren oder zu modernisieren. Hinz’ Blick ist unter anderem auf die OECD-Staaten, dort insbesondere auf Kanada, sowie auf Australien gerichtet. Ebenso müsse das nach fast 25 Jahren Verhandlungen im Dezember 2024 unterzeichnete Abkommen der EU mit den Mercosur-Staaten zeitnah von allen Mitgliedstaaten ratifiziert werden.

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Verunsicherung ist nicht hilfreich

Auch Daniel Hosseus, Hauptgeschäftsführer des Zentralverbands der deutschen Seehafenbetriebe (ZDS), geht davon aus, dass die aktuelle US-Politik negative Folgen für die Wirtschaft und die internationale Handelspolitik haben könnte. Dazu sagt er: „Die Unsicherheit, die die amerikanische Regierung sät – ob in Grönland, Panama, am Sueskanal oder anderswo – ist nicht hilfreich, ebenso wenig wie die Ankündigung neuer Zölle. Mit Zollandrohungen sind die Amerikaner allerdings stark eigentorgefährdet. Denn schließlich wollen sie ihre Produkte und Dienstleistungen auch auf dem europäischen Markt verkaufen.“ Deshalb hofft er im Zollstreit auf eine starke, geeinte EU und verweist beim Handel auf mögliche Substitutionseffekte: „Es wird sich zeigen, ob es durch Trump tatsächlich zu weniger Güterverkehr kommt oder ob die Ware nicht einfach andere Wege geht. Das muss nicht zwingend negativ für die europäische und deutsche Wirtschaft sein“, prognostiziert Hosseus.

Mit Blick auf den Standort Deutschland und den Kooperationsgedanken bilanziert Hosseus: „Die Zusammenarbeit der deutschen Häfen funktioniert sehr gut.“ Der ZDS stehe für eine täglich gelebte Zusammenarbeit von 20 Seehäfen und rund 140 am Seegüterumschlag beteiligten Betrieben an der Ost- und Nordsee. In diesem Sinn führt er weiter aus: „Wenn man über die Zusammenarbeit der Häfen spricht, muss man immer klären: Wer soll mit wem wobei zusammenarbeiten? Ich denke, auf der Ebene der Bundesländer und im Zuge der länderübergreifenden Marketingkooperationen läuft das wirklich gut. Und auch die Unternehmen arbeiten gut zusammen, dort wo es für sie sinnvoll ist. Aber man muss klar sagen: Dabei handelt es sich um marktwirtschaftliche Entscheidungen, die jedes Unternehmen für sich trifft und die an rechtliche Rahmenbedingungen, zum Beispiel an das Kartellrecht, gebunden sind. Da muss sich die Politik raushalten.“

Gefordert sieht Hosseus die Politik indes, wenn es darum geht, die Infra- und Suprastruktur in den Häfen zu verbessern. „Die Energiewende und die Zeitenwende verlangen dem System in kurzer Zeit riesige Investitionen ab, die die Bundesländer und die Wirtschaft nicht stemmen können.“ Es gehe jährlich um milliardenschwere Investitionen, auch wegen der neuen Anforderungen, die der Bund an die Häfen richtet. Deshalb müsse deutlich mehr Geld in das System fließen. Dabei verweist er nachdrücklich auf die aus seiner Sicht herausragende Rolle der deutschen Häfen: „Deutschland ist die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt. Der größte Anteil des deutschen Außenhandels erfolgt auf dem Seeweg. Zudem sind die Häfen nicht nur eine wichtige Grundlage für den Wohlstand und die Sicherheit in unserem Lande, sondern sie stützen den Wandel in ganz Deutschland. Der Bund muss sich beteiligen“, so Hosseus.

„Auch die bösen Jungs werden immer besser“

In diesen schwierigen Zeiten hat Professor Carlos Jahn, der Leiter des Fraunhofer-Centers für Maritime Logistik und Dienstleistungen (Fraunhofer CML) in Hamburg, eine plausible Erklärung dafür, warum gerade maritime Strukturen und Häfen besonders anfällig für Cyberangriffe sind: „Es handelt sich um komplexe Systeme, bei denen eine Vielzahl unterschiedlicher Akteure miteinander verbunden ist, wodurch ein hohes Maß an Interkonnektivität entsteht.“ Hinzu komme, dass innerhalb dieser Systeme eine Vielzahl unterschiedlicher, moderner und älterer Systeme zusammenwirken und damit gerade an den Schnittstellen Einfallstore für derartige Übergriffe entstehen. „Gefährdungen bestehen vor allem im Eingriff auf Routingsysteme, Bestands- und Kundendaten, aber auch im Verlust oder der Sperrung sensibler Unternehmensdaten“, skizziert Jahn die Breite der Risikopalette.

Damit zusammenhängend hat er nicht nur eine wachsende Anzahl von Cyberangriffen, sondern auch eine erhöhte kriminelle Qualität dieser Angriffe auf Häfen, maritime Einrichtungen und Schiffe ausgemacht. „Auch die bösen Jungs werden immer besser“, resümiert Jahn, ohne damit den Ernst der Lage herunterspielen zu wollen. Vielmehr will er mit dieser Aussage verdeutlichen, dass sich beide Seiten in einem ständigen Wettlauf miteinander befänden, um die Systeme auf der einen Seite sicherer zu gestalten und auf der anderen Seite ihre Schwachpunkte ausfindig zu machen.

Porträt von Daniel Hosseus

„Die Zusammenarbeit der deutschen Häfen funktioniert sehr gut.“

Daniel Hosseus, Hauptgeschäftsführer des ZDS

Porträt von Professor Julian Hinz

„Die USA sind mit ihrer aktuellen Politik ein Herd der Unsicherheit.“

Professor Julian Hinz, Leiter der Forschungsgruppe Handelspolitik am IfW Kiel

Die Experten des Fraunhofer CML suchen in ihrem Schiffscybersecurity LAB in Hamburg unter anderem nach Antworten auf dringende Fragen rund um das Thema Cybersecurity.
Gestützt auf eine Vielzahl unterschiedlicher Untersuchungen gruppiert Jahn Cyberangriffe in vier Gruppen ein: „Bei rund 50 Prozent der Angriffe handelt es sich um Ransomware und Malware-Angriffe.“ Hierbei werden die Daten auf einem IT-System verschlüsselt und erst gegen die Zahlung eines Lösegelds (englisch: Ransom) wieder entschlüsselt, beziehungsweise wird eine schädliche Software in das System eingeschleust, um einen destabilisierenden Zweck zu erfüllen. „Je ein Viertel machen überdies DDoS-Angriffe und Insiderbedrohungen, menschliche Fehler, Phishing Mails und Datenmanipulationen aus“, ergänzt der Experte. Bei Distributed-Denial-of-Service (DDoS)-Angriffen handelt es sich um Aktivitäten, die dazu beitragen, beispielsweise Websites stillzulegen oder die Verfügbarkeit von Netzwerkressourcen zu stören. In diesem Zusammenhang verweist Jahn auf Erkenntnisse, die er jüngst in Zusammenarbeit mit externen IT-Spezialisten im hauseigenen Schiffscybersecurity-Lab in Hamburg sammeln durfte: „Dass AIS-Daten gefälscht werden können, war mir seit Langem bekannt, dass aber auch Radar manipuliert werden kann, war eine neue Erfahrung für mich.“

Als wichtige Maßnahmen, um IT-Systeme zu schützen, erachtet er deren regelmäßige Prüfung und Aktualisierung, eine kontinuierliche Schulung und Sensibilisierung der Mitarbeiter sowie den Austausch zwischen allen daran Beteiligten in den Häfen und der Logistik. „Nichts ist perfekt und kann daher täglich verbessert werden. Da schadet es nicht, wenn die Betreffenden ihr Wissen teilen und offen über Cyberprobleme sprechen“, so Jahn. In diesem Kontext attestiert er den Unternehmen der Branche, dass sie in den vergangenen Jahren einen deutlichen Schritt hin zu mehr Transparenz getätigt hätten und dass nur noch selten der „Mantel des Schweigens“ über derartige Vorfälle gedeckt werde. Außerdem seien die Häfen „recht gut vorbereitet“. Das belege zum Beispiel die Tatsache, dass Häfen wie Hamburg, Bremerhaven und Cuxhaven zwar jede Woche vielfach von Cyberangriffen heimgesucht würden, dass aber nur ein Bruchteil davon zum Erfolg führe. „Das ist gut, doch jeder gelungene Angriff ist einer zu viel“, bilanziert Jahn.

Zwei Soldaten auf einem Schiff beim Austausch von Nachrichten mithilfe einer Morselampe.
Soldaten beim Austausch von Nachrichten mit der Morselampe. Trotz modernster Technologien wird der optische Signalverkehr weiterhin als sicheres, analoges Fernmeldemittel geschätzt.
Porträt von Professor Carlos Jahn

„Gerade an den Schnittstellen entstehen Einfallstore für Cyberangriffe.“

Prof. Carlos Jahn, der Leiter des Fraunhofer CML

Abhängigkeit von funktionierenden maritimen Strukturen

Auch Karsten Schneider, Konteradmiral a. D. und Präsident des Deutschen Maritimen Instituts (DMI), betont den hohen Stellenwert der Seewege und damit der deutschen Häfen. „Wir dürfen nicht vergessen, dass Europa eine Halbinsel ist und dass ein Großteil unserer Versorgung, Kommunikation und Wirtschaftsleistung auf oder unter dem Wasser abgewickelt wird“, so Schneider. Dabei denkt er nicht nur an die weltweiten Schiffstransporte, sondern verweist auch auf die Bedeutung von Unterseekabeln, Pipelines, Offshore-Windanlagen und auf die Offshore-Ölförderung. „Es ist vielfach noch nicht im öffentlichen Bewusstsein angekommen, aber wir sind in hohem Maße von der reibungslosen Funktion maritimer Strukturen abhängig. Wie sehr, hat nicht nur die Havarie der ‚Ever Given‘ im Sueskanal und ihre Folgen für die Lieferketten gezeigt. Auch die jüngsten Sabotageakte an den Daten- und Stromkabeln in der Ostsee belegen das“, gibt Schneider zu bedenken.

Schiffe der deutschen Marine auf Patrouillenfahrt.
Angesichts der Bedrohungen für kritische Infrastrukturen auf See zeichnet sich eine neue Debatte über ein Seesicherheitsgesetz ab.

Angesichts der aktuellen geopolitischen Entwicklungen im Roten und im Südchinesischen Meer sowie der Piratenangriffe in der Straße von Malakka stellt Schneider fest: „Bisher hat das bestehende System solche Bedrohungen immer noch irgendwie bewältigen können – zum Beispiel durch das Umschiffen gewisser Regionen oder durch den Umstieg auf andere Verkehrsträger. Sollte es jedoch zu einer gezielt herbeigeführten Häufung solcher Vorfälle in größerem Ausmaß kommen, könnte das schwierig werden.“ Das Thema Cyberkriminalität hat er gleichfalls im Blick und merkt an: „Die Digitalisierung ist eine wichtige Voraussetzung dafür, dass die maritime Wirtschaft und die Logistik modern und leistungsfähig bleiben. Doch mit ihrer wachsenden Bedeutung rücken sie zugleich immer stärker in das Visier von Cyberkriminellen.“

Gehöriges Optimierungspotenzial sieht Schneider im Krisenfall unter dem Aspekt der Abstimmung zwischen den verantwortlichen maritimen Stellen. Hierzu erläutert er: „Wir haben es heute mit einer gänzlich neuen Form von hybrider Kriegsführung zu tun. Es ist ein Konflikt mit einer fremden, feindseligen Macht, die uns immer etwas unterhalb der Schwelle des NATO-Bündnisfalls angreift. Die Bundeswehr kann im Frieden, den wir ja offiziell haben, aber nur Amtshilfe ohne exekutive Gewalt leisten.“ Das schaffe eine neue Lage, in der der Gegner geschickt die Grenzen der Zuständigkeiten zwischen Polizei und Streitkräften nutze, indem er Maßnahmen ergreift, die die Polizei überfordern, aber noch keinen Einsatz der Bundeswehr zulassen. „Hier liegt der Kern des Problems“, sagt Schneider, um dann weiter auszuführen: „Seit zwei Jahrzehnten kommen wir beim Seesicherheitsgesetz nicht voran. Mit einem solchen Gesetz bekäme die Marine bereits im Frieden größere Handlungsmöglichkeiten, ohne dass sie polizeiliche Aufgaben übernimmt. Das wäre ein großer Schritt, ohne dass man in die rechtsstaatliche Trennung von Polizei und Streitkräften substanziell eingreifen müsste.“ (bre)

Porträt von Karsten Schneider

„Bisher hat das System solche Bedrohungen immer noch irgendwie bewältigen können.“

Karsten Schneider, Konteradmiral a. D. und
Präsident des DMI