In Norddeutschland entstehen neue Lösungen für das Abwracken von Schiffen. Zwei Unternehmen wollen zeigen, dass das auch hierzulande möglich ist – und zwar umweltfreundlich, innovativ und wirtschaftlich.
Fotos: Christoph Assies TEXT FOTO MEDIA, Karoline Wolf, EWD Benli, Leviathan, Jörg Sarbach
Im Mai 2025 hat die Emder Werft und Dock (EWD) als erstes Unternehmen in Deutschland die behördliche Zulassung für das Schiffsrecycling erhalten. Zurückgebaut und verwertet werden sollen auf dem EWD-Werksgelände im Emder Hafen kleine Binnen-, Küsten- und Behördenschiffe sowie Marineschiffe aus Deutschland mit einer Länge von bis zu 200 Metern. „Hier können wir wettbewerbsfähige Preise anbieten“, berichtet Sebastian Jeanvré, der als Geschäftsführer gemeinsam mit Björn Sommer die Doppelspitze in der Geschäftsführung bei EWD Benli Recycling bildet.
„Die Idee entstand vor fünf Jahren, als wir schon ähnliche Tätigkeiten durchgeführt hatten und weil bei uns die technischen Voraussetzungen für das Schiffsrecycling bereits vorliegen“, erzählt der promovierte Verfahrensingenieur, der zugleich Geschäftsführer des Unternehmens Relog ist, das sich auf die Planung und Umsetzung von Industrierückbauprojekten sowie das Schiffs-, Triebwerks- und Flugzeugrecycling spezialisiert hat. Der Bedarf sei groß, denn gerade bei Hafenbetriebsgesellschaften, bei der Wasserschutzpolizei und der Bundespolizei See gebe es sehr viele Schiffe mit einem Durchschnittsalter von mehr als 40 Jahren und demzufolge viele Einheiten, die bis zu 80 Jahre oder gar älter sind.

Laserblick ins Altschiff
Pro Monat können zwei mittelgroße Altschiffe recycelt werden. Dazu gehört, das Schiff zu erfassen, trockenzulegen und die Schadstoffe zu entfrachten. Letzteres ist allerdings anspruchsvoll: „Anders als bei Flugzeugen, wo es Baureihen gibt, ist insbesondere bei älteren kleineren Schiffen oft nicht ganz klar, was und wie sie verbaut wurden“, erläutert Jeanvré. „Deshalb wollen wir im Rahmen eines Forschungsprojekts Verfahren entwickeln, um per Laser die Schiffsstruktur zu analysieren und eine entsprechende Datenbank für ein Wertstoff- und Schadstoffmapping aufzusetzen.“
Nach der Demontage der einzelnen Bauteile bleibt nur ein Altschiff zurück, das weder Flüssigkeiten noch gefährliche Stoffe enthält. Erst dann wird es zerkleinert und aufbereitet. Die Durchführung dieser Verfahrensschritte dauert insgesamt – abhängig von Größe und Umfang der Arbeiten – mindestens vier Wochen. Sobald EWD Benli alle Nebenbestimmungen im Zuge des Genehmigungsverfahrens umgesetzt hat, kann es in Emden losgehen. „Ich gehe davon aus, dass wir im vierten Quartal den Betrieb aufnehmen werden“, erwartet Jeanvré.
Auch das 2021 gegründete Unternehmen Leviathan mit Firmensitz in Bremen verfolgt einen ambitionierten Plan: Der Spezialist für Schiffsrecycling will eine hoch automatisierte, nahezu emissionsfreie Recyclinganlage aufbauen. Die Vision ist ein CO2-freier Betrieb auf Basis erneuerbarer Energien, der Industrie-4.0-Technologien nutzt und durch geschlossene Stoffkreisläufe höchste Ressourceneffizienz erreicht. Im Unterschied zu Wettbewerbern plant Leviathan keine Werft im klassischen Sinn, sondern eine reine Recyclinginfrastruktur – spezialisiert auf Frachtschiffe im großen Stil. „Nur große Stahlströme sind für Stahlwerke wirklich interessant“, betont Leviathan-Mitgründer Simeon Hiertz.
Ohne Feuer, ohne Emissionen
Technisch unterscheide sich das Leviathan-Verfahren Hiertz zufolge grundlegend vom herkömmlichen Schiffsabbruch. „Wir nutzen nur kalte Schneidverfahren, kein Brennschneiden. Dadurch haben wir keine Verbrennungsgase mit entsprechenden Emissionen“, erklärt Hiertz. Feste und flüssige Schadstoffe lassen sich so gezielt auffangen und behandeln. Ein zentraler Bestandteil des Konzepts ist, dass sämtliche Arbeiten auf vollständig versiegelten Flächen stattfinden. „Daher ist eine unbeabsichtigte Freisetzung umweltgefährdender Stoffe ausgeschlossen.“
Verarbeitet werden sollen grundsätzlich alle Schiffstypen – jeweils bis zur maximalen Größe der geplanten Anlage von rund 350 Metern. „Der Fokus liegt bei uns auf Massengutfrachtern“, so Hiertz. „Diese Schiffe haben derzeit kaum vernünftige Alternativen für ein umweltgerechtes Ende ihres Lebenszyklus.“ Das Geschäftsmodell von Leviathan unterscheide sich ebenfalls von dem klassischer Abwracker: „Unsere primären Kunden sind die Stahlwerke“, sagt Hiertz. „Den Reedereien bieten wir eine attraktive Lösung für alte Tonnage an und kaufen ihnen Schiffe ab, der Umsatz wird aber von den Stahlwerken kommen.“
Weltweit verbindliche Regeln fürs Schiffsrecycling ab 2030
2009 wurde das internationale Übereinkommen von Hongkong über sicheres und umweltgerechtes Recycling von Schiffen angenommen, 2013 die EU-Verordnung zum Recycling von Schiffen verabschiedet. Nach 16 Jahren ist nun die Hongkong-Konvention in Kraft getreten, weil mit 24 Staaten endlich genug Länder die Regelung unterzeichnet haben. Ab 2030 müssen sich Reeder, Flaggenstaaten und Abwrackwerften beim Recyceln von Schiffen an die international geltenden Regeln halten. Abbruchwerften müssen künftig zertifiziert sein. Der „Gefahrenstoffpass“ (Inventory of Hazardous Materials, kurz IHM) wird global bis spätestens 2030 verbindlich. EU-Flaggenschiffe brauchen ihn jedoch bereits seit Mitte der 2010er-Jahre.
Wie groß das mögliche Auftragsvolumen ist, zeigt eine bereits im November 2023 präsentierte Potenzialstudie zum Thema Schiffsrecycling, die vom Leibniz-Zentrum für Marine Tropenforschung (ZMT) unter der Leitung von Raimund Bleischwitz erstellt wurde. Sie beleuchtet die wirtschaftlichen und ökologischen Chancen eines maritimen Recyclingclusters. Laut der Studie könnten allein in Bremen jährlich bis zu 25 Schiffe zerlegt werden, was ein Schrottpotenzial von etwa 100.000 Tonnen und ein wirtschaftliches Volumen von über 100 Millionen Euro bedeuten würde.
Bis 2035 könnten weltweit bis zu 15.000 Schiffe außer Dienst gestellt werden. Wenn es gelingt, einen Teil dieser Rückbauprojekte nach Norddeutschland zu holen, wäre das ein Impuls für die maritime Wirtschaft der Region – und zugleich ein Gewinn für Nachhaltigkeit und technologische Innovation(cb)
