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Hinterland heißt nicht hinterwäldlerisch

Bei Digitalisierung denken viele zuerst an die großen Seehafenterminals. Dabei gewinnt diese längst auch im Hinterland immer mehr an Bedeutung. Wie viel IT schon jetzt in den Inlandterminals steckt, zeigen das Containerterminal Osnabrück (CTOS) und das Containerterminal in Nürnberg (TriCon).

Fotos: TRICON, CTOS
Erst wenn ein Zahnrädchen in das andere greift, funktioniert die Logistikkette. Da das operativ anspruchsvoll ist und dazu immer mehr Fachkräfte fehlen, nimmt die Digitalisierung nun auch im Binnenland an Fahrt auf. „Digitalisierung ist ein großes Thema“, bestätigt Peter Schreyer, Geschäftsführer von TriCon, das unter anderem die deutschen Seehäfen Bremerhaven und Bremen sowie das Megahub Lehrte in Hannover mit der zweitgrößten Stadt Bayerns verknüpft. So wird seit 2020 mithilfe von zwei Gates jede Terminalein- und ausfahrt eines Lkws nicht mehr händisch oder mithilfe eines Tablets erfasst. Stattdessen kommt die vollautomatische optische Zeichenerkennung (Optical Character Recognition, OCR) zum Einsatz. „Pro Gate fertigen sieben Kameras Momentaufnahmen des Zustands der Ladeeinheit an“, berichtet Schreyer. „Im Fall von Schäden können wir so den erforderlichen Nachweis für den Gefahrenübergang gegenüber anderen Teilnehmern der Lieferkette erbringen.“

Gefahrgut, Sattelauflieger und Wechselbrücken müssen, anders als Standardladungsträger, nach wie vor zusätzlich manuell gecheckt werden. „Hier prüfen unsere Mitarbeiter, ob der Ladungsträger auch für den Umschlag geeignet ist“, so der Geschäftsführer. Künftig soll OCR darüber hinaus bei Zügen zum Einsatz kommen. Im Zusammenhang mit der Erweiterung des ersten Moduls soll im Hafen Nürnberg ein entsprechendes Gate aufgebaut werden.

Überzeugungsarbeit gefragt

Ein weiterer Meilenstein war die Einführung der mehrsprachigen Fahrer-App im Frühjahr dieses Jahres. Seitdem können sich die Fahrer mittels eines Buchungscodes kontaktlos am Gate anmelden. Die OCR-Daten fließen dann an das Terminal Operating System (TOS), und der Fahrer bekommt automatisiert die Info, zu welchem Stellplatz er fahren muss, um den Container aufzunehmen. „Aktuell liegt der Nutzungsgrad allerdings erst bei etwa zehn Prozent“, bedauert Schreyer. „Einige Fahrer scheuen die Dateneingabe, andere möchten den sozialen Kontakt nicht missen.“ Ein Update soll nun dazu beitragen, die Quote zu verbessern: „Damit können dann die Speditionen die Dateneingabe für den Fahrer übernehmen.“

Eine verpflichtende Slotbuchung, wie es sie an den großen Containerterminals von Eurogate und der HHLA bereits seit mehreren Jahren gibt, ist mit der App bisher nicht verbunden, doch die wird in Zukunft kommen müssen: „Durch ein solches Slotmanagement können wir die Abfertigung entzerren, die Planungssicherheit für alle erhöhen sowie unsere Prozesse erheblich beschleunigen und unsere Effizienz steigern“, erklärt Schreyer.

Da dies aber durchaus anspruchsvoll ist, hat sich TriCon als Konsortialführer mit weiteren Projektpartnern wie den IT-Unternehmen Cargo Support Service und Conroo, dem Institut für Maritime Logistik (MLS), dem Fraunhofer-Center für Maritime Logistik und Dienstleistungen (CML) und der SGKV – Studiengesellschaft für den Kombinierten Verkehr zusammengeschlossen. Bis 2025 soll in dem auf drei Jahre angelegten und vom Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV) im Rahmen von IHATEC II (Innovative Hafentechnologien) geförderten Projekt „Flexiking“ nun ein intelligentes Multiagentensystem entwickelt werden, über das eine kollaborative Verhandlung von Zeitfenstern erfolgt.

Beim erst Anfang 2022 in Betrieb genommenen Containerterminal Osnabrück (CTOS) spielt Digitalisierung ebenfalls eine große Rolle. Ein wichtiger Bestandteil ist auch hier die Verknüpfung des TOS mit dem Gate Operating System (GOS). Dabei sollen künftig alle Lkws in Osnabrück mithilfe eines OCR-Systems automatisiert erkannt werden und die Daten an das TOS übermittelt werden. Die dafür erforderlichen Gates sind bereits aufgebaut, allerdings noch nicht in Betrieb: „Die Erkennungsqualität liegt im Moment weit unter den geforderten 95 bis 96 Prozent. Hier muss nachgebessert werden, um das System operativ nutzen zu können“, erläutert Geschäftsführer Björn Tiemann.

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Am 2022 in Betrieb genommenen CTOS kommt der Digitalisierung eine wichtige Rolle zu.

Aufwendiges Training der Algorithmen

Die Herausforderung liegt darin, das intelligente Computersystem richtig zu trainieren – und da steckt der Teufel im Detail: So wurden kürzlich von der Software zwar holländische Kennzeichen erkannt, aber deutsche nicht mehr. Zu Verwirrung führten auch US-amerikanische Kennzeichen, die einige Trucker zu Dekozwecken zusätzlich aufgeklebt hatten, sowie Chassisnummern von Vermietern über der Stoßstange oder auch linksseitig statt mittig angebrachte Kennzeichen. Fälschlich als „1“ ausgelesen wurde auch das Herausragen eines Kabels bei der Befestigung mit Kabelbindern. Hier wird derzeit an den Algorithmen gearbeitet. „Ich denke, es wird noch etwa sechs Monate dauern, bis das für Lkw vollumfänglich funktioniert“, erwartet Tiemann.

Nächster Schritt ist auch in Osnabrück ein sogenanntes Railgate. „Wenn der Zug eingefahren ist, laufen unsere Mitarbeiter bisher los, um die Waggons mit den Ladelisten abzugleichen“, erklärt der Geschäftsführer. „Für die 700 Meter durch das Gleisbett sind sie pro Strecke mindestens eine halbe Stunde unterwegs, sodass der Zug zum Teil erst eine Stunde nach Einfahrt im System ist.“ Nur indem solche Prozesse mithilfe der Digitalisierung schneller und genauer werden, könne das Terminal seine Produktivität steigern.

Gebühren als Anreiz

Neben der Optimierung der internen Abläufe geht es auch am CTOS um das reibungslose Zusammenspiel aller Teilnehmer der Logistikkette. Weil allerdings noch längst nicht immer die Einsicht vorhanden ist, dass PDFs zu verschicken weitaus weniger effizient ist, als die Datenübermittlung über Schnittstellen abzuwickeln, hat das CTOS pro Auftragsdatensatz eine Gebühr in Höhe von drei Euro für die manuelle Datenverarbeitung eingeführt. „Das ist als Anreiz gedacht – sonst tut sich doch nichts“, unterstreicht Tiemann.

Künftig soll es zudem auch in Osnabrück wie in Nürnberg geplant, einen Self-Service-Bereich geben, bei dem die Disponenten die Daten im Hintergrund erfassen und dann mithilfe einer Buchungsnummer ein großer Teil der Ladeeinheiten ohne Kontakt mit dem Schalter eingecheckt werden kann. Außerdem könnte ein Slotbuchungssystem am CTOS ebenfalls erheblich dazu beitragen, die Mengen besser zu steuern und dadurch die Abläufe zum Nutzen aller zu verbessern. Noch seien die Seehafenterminals in dieser Hinsicht erheblich weiter, räumt Tiemann ein. Davon, dass die Digitalisierung auch bei den Inlandterminals weiter zunehmen wird, ist er aber fest überzeugt: „Aufgrund des Fachkräftemangels haben wir keine Leute, um die Arbeit manuell zu bewerkstelligen. An der Digitalisierung führt daher kein Weg vorbei.“ (cb)

Am OCR-Gate von TriCon werden Momentaufnahmen des Zustands der Ladeeinheit erstellt.

Fakten

Container-Terminal Nürnberg (TriCon)

Inbetriebnahme: 2006
Gesellschafter: CDN Container Depot Nürnberg, DUSS Deutsche Umschlagsgesellschaft Schiene Straße, Kombiverkehr – Deutsche Gesellschaft für den kombinierten Güterverkehr, Hafen Nürnberg-Roth (jeweils 25 Prozent)
Ladegleise: 10 (jeweils 700 Meter), 2 Abstellgleise, 1 elektrifiziertes Umfahrgleis
Kapazität für Zwischenlagerung: 3.000 TEU und 80 Stellplätze für Sattelauflieger
4 Portalkräne und 3 Volllast-Reachstacker: jeweils bis zu 42 Tonnen
Mitarbeiter: 57
Ladeeinheiten pro Jahr: 200.000

Fakten

CTOS

Inbetriebnahme: 1. Januar 2022
Betreiber: Containerterminal Osnabrück (CTO)
Gesellschafter: Familie Klaus Hellmann (41 Prozent), Koch International (5 Prozent), Nosta (5 Prozent) und TBOS (49 Prozent)
Ladegleise: 4 (jeweils 730 Meter)
Kapazität für Zwischenlagerung: 2.500 TEU und 65 Trailerstellplätze
2 Portalkräne und 1 Reachstacker: jeweils bis zu 43 Tonnen
Mitarbeiter: 12
Investitionen: knapp 30 Millionen Euro, davon 22 Millionen aus öffentlichen Mitteln

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