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Keine Wettbewerbsfähigkeit ohne Investitionen

Die Binnenschifffahrt gilt als effizient und klimaschonend. Doch das Tagesgeschäft ist von rückläufigen Transportmengen, einer maroden Infrastruktur und oftmals auch von niedrigen Pegelständen geprägt. Mit Sebastian Poser, Geschäftsführer der B. Dettmer Reederei, und Martin Deymann, geschäftsführender Gesellschafter der Reederei Deymann, beleuchten zwei erfahrene Transportdienstleiter die aktuelle Lage – aus recht unterschiedlichen Blickwinkeln.

Fotos: istockphoto.com, Reederei Deymann, Dettmer Group
Portrait von Martin Deymann

„Die Binnenschifffahrt leistet einen zentralen Beitrag zur Reduktion verkehrsbedingter Emissionen.“

Martin Deymann, geschäftsführender Gesellschafter der Reederei Deymann

LOGISTICS PILOT: Warum ist die Binnenschifffahrt nachhaltiger als andere Verkehrsträger?
SEBASTIAN POSER:
Ganz einfach, weil ich beim Binnenschiff nur zwei Dieselmotoren und 70 Liter Kraftstoff benötige, um rund 1.500 Tonnen zu transportieren. Das schafft kein anderer Verkehrsträger. Zudem ist das Binnenschiff mit Blick auf seine Lebensdauer konkurrenzlos nachhaltig. So eine „Stahlbüchse“ kann im Prinzip 50 bis 100 Jahre fahren. Da können Lkw, Züge und Seeschiffe nicht ansatzweise mithalten. Dennoch möchte ich betonen, dass wir in Deutschland alle vier Verkehrsträger – die Rohrleitungen inbegriffen – für eine gute Logistik brauchen.
MARTIN DEYMANN: Binnenschiffe sind wahre Effizienzmeister, sie verbrauchen deutlich weniger Energie pro transportierte Tonne als Lkw oder Bahn und stoßen pro Tonnenkilometer wesentlich weniger CO₂ aus. Zudem können sie große Gütermengen auf einmal befördern, was das Binnenschiff zum idealen Transportmittel für längere Strecken macht. Damit leistet die Binnenschifffahrt einen zentralen Beitrag zur Reduktion verkehrsbedingter Emissionen.

LOGISTICS PILOT: Wo hakt’s beim Binnenschiff? Sind die veraltete Infrastruktur, marode Schleusen und niedrige Pegelstände die Hauptprobleme?
POSER:
Nein, aus meiner Sicht ist der Staat als Betreiber der Infrastruktur das Hauptproblem. Hier sehe ich weder ein Konzept noch Ehrlichkeit. Es müssen endlich Fakten geschaffen und die Bürokratie abgebaut werden. Denn auch im neuen Koalitionsvertrag kann ich keine Reformen erkennen, die mich optimistisch stimmen, dass hier Industrie erhalten oder gar angesiedelt wird. Zudem machen aufgeblasene Staatsapparate und Auflagen vieles komplizierter und teurer. So ergibt es beispielsweise keinen Sinn, eine neue Antriebstechnologie einzuführen, wenn die Umrüstung eines alten Schiffs mehrfach teurer ist als ein Neubau. Unabhängig davon sind weitere Investitionen in das System und in die Kanalnetze eine zwingende Voraussetzung dafür, dass der Verkehrsträger Binnenschiff wettbewerbsfähig bleiben kann.
DEYMANN: Diese Punkte stellen zweifellos Herausforderungen dar, doch sie sind nicht als alleinige oder ausschlaggebende Hauptprobleme zu sehen. Die Binnenschifffahrt begegnet ihnen mit technischen und betrieblichen Lösungen – etwa durch modernisierte Schiffstypen, die auch bei niedrigen Pegelständen einsatzfähig bleiben. Zudem handelt es sich um infrastrukturelle Themen, die nicht nur die Binnenschifffahrt betreffen, sondern ebenso die Straße und Schiene. Durch kontinuierliche Anpassung und gezielte Investitionen wird auf diese Entwicklungen reagiert.

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LOGISTICS PILOT: Im Masterplan Binnenschifffahrt steht, dass der Verkehrsanteil der Binnenschifffahrt am Modal Split bis 2030 auf zwölf Prozent anwachsen soll. Wie realistisch ist das?
POSER:
Im Moment sind wir bei knapp sechs Prozent. Und wenn die Politik so weitermacht und die Industrie abwandert, dann werden wir diese zwölf Prozent nie erreichen. In guten Zeiten hat die Binnenschifffahrt mal über 200 Millionen Tonnen im Jahr transportiert, zuletzt waren es zwischen 175 und 180 Millionen Tonnen. Ich bin mir aber sicher, dass die Branche locker zwischen 220 und 240 Millionen Tonnen im Jahr transportieren könnte – wenn diese Mengen da wären. Hinzu kommt, dass wir ein echtes Nachwuchsproblem haben. Dabei ist weniger die Quantität als die Qualität das Problem. Von 100 Bewerbern zeigen gerade einmal fünf das nötige Interesse und den Einsatzwillen. Da kann man nicht noch groß auswählen.
DEYMANN: Wir gehen davon aus, dass dieses Ziel durchaus realistisch ist. Die Binnenschifffahrt verfügt als einziger Verkehrsträger derzeit über nennenswerte freie Kapazitäten, um zusätzliche Transportmengen aufzunehmen und damit Straße und Schiene deutlich – auch im Sinne des Umweltschutzes – zu entlasten. Wenn bestehende Potenziale weiterentwickelt und vorhandene Strukturen genutzt werden, kann die Branche einen bedeutenden Beitrag zur nachhaltigen Verkehrswende leisten.

LOGISTICS PILOT: Durch die Energiewende werden immer weniger Massengüter wie Kohle und Heizöl per Binnenschiff transportiert. Aber ergeben sich, zum Beispiel durch die Energiewende, nicht auch neue Potenziale?
POSER:
Die Binnenschifffahrt ist in der Lage, fast alles zu transportieren. Daher sehe ich primär die Möglichkeit, zusätzliches Verlagerungspotenzial von der Straße und der Schiene zu gewinnen. Weitere Optionen hängen davon ab, welche Energieträger sich langfristig durchsetzen werden. Aber egal, ob Methanol, Ammoniak oder Gas, die Branche wird das problemlos und sicher managen. Mit Blick auf die Windenergie sehe ich allerdings nur geringes Potenzial. Denn bedingt durch die Größe der Flügel sowie die Breite der Kanäle und die Höhe vieler Brücken sind der Binnenschifffahrt einfach natürliche Grenzen gesetzt.
DEYMANN: Laut Prognosen wird der Transport klassischer Massengüter wie Kohle und Heizöl künftig deutlich zurückgehen. Die Nachfrage nach Containertransporten steigt hingegen, und auch der Transport alternativer Energieträger wie Wasserstoff und Ammoniak gewinnt zunehmend an Bedeutung. Durch entsprechende Anpassungen ist die Binnenschifffahrt bestens darauf vorbereitet, diese Entwicklungen zu begleiten. Darüber hinaus kann das Binnenschiff bei Groß- und Schwertransporten seine Vorteile ausspielen und so die Verkehrsbelastung auf der Straße verringern. (bre)

„Auch im neuen Koalitionsvertrag kann ich keine Reformen erkennen.“

Sebastian Poser, Geschäftsführer der B. Dettmer Reederei

Portrait von Sebastian Poser