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Magazin für Häfen, Schifffahrt und Logistik

Na logisch: logistische Zwillinge

Das Bremer Unternehmen OHB Digital Services hat einen digitalen Zwilling entwickelt, der dank Satellitendaten genau da am besten funktioniert, wo es für andere Software am schwierigsten ist: draußen auf großen Flächen – und das ganz flexibel ohne fixe Markierungen oder manuelle Waren- und Standortbuchungen.

Beim „Fachforum Projektlogistik“ wurde 2023 erstmals der „BHV-Projektlogistik-Award“ verliehen – und zwar an das IT-Unternehmen OHB Digital Services aus Bremen für „Logtwin“.

Fotos: OHB Digital Services GmbH

Ein Raumfahrtunternehmen, das mit Logistik zu tun hat? Mag ungewöhnlich klingen, aber genau so ist es bei der börsennotierten Technologiegruppe OHB aus Bremen. Für Auftraggeber wie die Europäische Weltraumorganisation (ESA), Forschungsinstitute und die Bundeswehr ist die Gruppe bereits über 40 Jahre in der Luft- und Raumfahrt tätig und nun seit fünf Jahren auch in der Logistik aktiv.

„Die Satelliten liefern sehr viele Metadaten, die aber für Laien und Firmen nicht sofort nutzbar sind“, berichtet Christian Stelljes, Manager Innovations & Sales bei OHB Digital Services. „Vor einigen Jahren stellte sich bei uns die Frage, wie wir diese für die Unternehmen als Anwendungslösungen nutzbar machen können.“ Einzelne Gesellschaften gab es in diesem Bereich zwar schon länger, aber dann wurde das Know-how gebündelt, und eigens zur Interpretation und Datenverarbeitung wurde die Sparte OHB Digital Services gegründet, um Produkte rund um die Übertragung und Nutzung von Satellitendaten zu entwickeln und zu vermarkten.

„Die Logistik bot sich als ein wichtiges Feld besonders gut an, da sie auf Basis von Logik funktioniert“, erläutert Stelljes. Die Idee: „Wir verbinden die Logistik und die Prozessabläufe mit unserer Kompetenz in der Satellitengenauigkeit.“ Entstanden sind hieraus mehrere Produkte – eins davon ist die Softwareanwendung „Logtwin“, mit der ein digitales Abbild sämtlicher Logistikflächen, Warenbewegungen, Prozesse und Transportmittel erstellt werden kann.

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Die Arbeitsgruppe Digitalisierung bei der BHV

Einmal pro Monat trifft sich bei der BHV – Bremische Hafen- und Logistikvertretung unter der Leitung ihres Sprechers Christian Stelljes die Arbeitsgruppe Digitalisierung. Seit 2021 werden hier die digitalen Kompetenzen von Nutzern und Anbietern innerhalb des Vereins zusammengeführt. Ein erster Arbeitsschwerpunkt war die Erstellung eines Kompetenzverzeichnisses, das seit Anfang 2023 online unter https://kompetenzatlas.bhv-bremen.de zu finden ist. Es bietet einen Überblick über laufende und bereits abgeschlossene Software- und Forschungsprojekte der Mitglieder, um in puncto Digitalisierung mehr Interaktion zu schaffen. Jeden zweiten Mittwoch im Monat von 10 bis 11 Uhr beraten Mitglieder der Arbeitsgruppe zudem in einer Sprechstunde zu Digitalisierungsthemen, um etwa Unterstützung bei der digitalen Transformation von Prozessen in den Unternehmen und bei der Überwindung von Herausforderungen zu geben. (cb)

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Und das funktioniert so: Über zwei Antennen, montiert auf Transportfahrzeugen oder -maschinen, werden Daten des Global Navigation Satellite Systems (GNSS) empfangen und gesendet. Eine dient der grundsätzlichen Positionsbestimmung, eine zweite der Orientierung. Mithilfe eines Näherungs- und eines Höhensensors können so alle sechs Dimensionen der Warenbewegung identifiziert und nachverfolgt werden. Diese GNSS-Empfänger berechnen eine Position auf der Erde, indem sie messen, wie lange die Übertragung des Funksignals zwischen dem Satelliten und dem Empfänger dauert. Kombiniert man dies nun noch mit einer Referenzantenne am Einsatzort, erhält man durch eine mathematische Berechnung eine zentimetergenaue Verortung jeder Dimension.

„Der Verbindungspunkt ist die Eingangskontrolle im Zuge der Wareninspektion durch die Mitarbeiter, bei der die Ware mit einem GNSS-Signal verheiratet wird“, erläutert Stelljes. Das bedeutet auch, dass die Ware nicht mehr von Hand beschriftet werden muss. Ab dem Moment der digitalen Verheiratung funktioniert das System vielmehr vollautomatisch: „Alles, was elektrifiziert ist, kann in das System eingebunden werden. Und anhand der Positionen und Aktionen des Fahrzeugs mit der verheirateten Ware wird ausgerechnet, wohin die Ware bewegt wurde“, so Stelljes. „Das Scannen der Lagerorte und der Ware bei Warenbewegungen wie auch manuelle Eingaben sind nicht mehr erforderlich: Die Satelliten- und Fahrzeugdaten verhindern damit mögliche menschliche Fehler.“

3-D-Abbildung des Terminals

Anschaulich wird das Ganze am Beispiel der Außenfläche des Bremer Hafendienstleisters Weserport, der Pilotkunde war und auch nach wie vor als Kooperationspartner für Produktänderungen und Neuentwicklungen fungiert. Die Lagerflächen wurden hier eins zu eins dreidimensional als digitaler Zwilling nachgebaut. Öffnet man nun die Software, sind am Bildschirm das komplette Hafengelände sowie die sich darauf befindenden Waren und Fahrzeuge zu sehen.

In Echtzeit lässt sich so beispielsweise beobachten, wie ein Stapler zu mehreren Stahl Coils fährt, eine davon anhebt und auflädt und dann zur Auslagerungsfläche unweit der Kaikante fährt. Mithilfe der Satelliten können hier jede Bewegung und die Position von Ware und Fahrzeug bis auf wenige Zentimeter genau bestimmt werden. Eine Besonderheit: „Auch in der virtuellen Ansicht werden die unterschiedlichen Dimensionen der Waren abgebildet“, so Stelljes.

Anders als bei herkömmlichen Lagerflächen ist bei Einsatz des digitalen Zwillings keine fixe Aufteilung mit klaren Koordinaten und Stellplatzbezeichnung erforderlich, sondern eine dynamische Flächenplanung möglich. „Mit unserer Software ist die Verortung davon losgelöst; die Areale für bestimmte Warengruppen können jederzeit per Mausklick flexibel den jeweiligen Bedürfnissen zugewiesen und in ihrer Geometrie verändert werden“, erläutert Stelljes.

CO2-Einsparung durch Optimierung der Fahrwege

Das birgt einige Vorteile: So wird die Planung der Intralogistikprozesse deutlich effizienter – ein wichtiger Faktor, denn Liegezeiten sind teuer und der Umschlag muss schnell und reibungslos klappen. Die Ware kann auch nicht mehr verloren gehen und muss dementsprechend nicht mehr gesucht werden. Die manuelle Dokumentation in Papierform gehört der Vergangenheit an.
Außerdem lässt sich mithilfe von „Logtwin“ die Vorplanung verbessern. Die Software kann aber bei Bedarf auch eigenständig Entscheidungen treffen und dadurch die Kapazitäts- und Auslastungsplanung optimieren. „Unser Satellit weiß, wo welches Fahrzeug zu jeder Zeit auf dem Gelände ist und ob es aktiv einen Fahrauftrag bearbeitet. Um Leerfahrten und somit unnötige Verbräuche zu reduzieren, können wir dank Geokommissionierung Fahrzeuge ohne aktiven Fahrauftrag abhängig von ihrer Entfernung zu einer Ware passend zuteilen, sofern das Fahrzeug grundsätzlich auf Basis seiner Attribute für einen Warentransport des Warentyps ausgelegt ist“, erklärt Stelljes. So macht es Sinn, dass etwa ein auf fünf Tonnen ausgelegter Stapler auch nur ein entsprechendes Gewicht transportiert, wenn er sich gerade in der Nähe befindet. „Rund 30 bis 50 Prozent CO2-Ausstoß während der anfallenden Leerfahrten können dadurch je nach Kunde eingespart werden“, berichtet Stelljes.

„Immer wenn hoher manueller Aufwand anfällt, ist es sinnvoll, einen digitalen Zwilling einzusetzen.“ Dabei kann er für so unterschiedliche Güterarten wie Stückgut, Sammelgut, Schüttgut und Projektladung und in Freilagern ebenso wie in Warenhäusern und Häfen genutzt werden. Die Aufträge lassen sich per Drag-and-drop verwalten – und das auch mobil per Laptop oder Tablet. Überdies ist es möglich, Lagerkonstellationen zu planen und zu simulieren. All das funktioniert auch für bestehende Lagerflächen, da die verwendete Technologie nachgerüstet werden kann. (cb)

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Fakten

OHB Gruppe

Geschäftsfelder Telematik und Satellit, Raumfahrt und Sicherheit, Nutzlasten und Wissenschaft, internationale Raumfahrt sowie Raumtransport und Aerospace-Strukturen.
Gründung: 1958
Hauptsitz: Bremen
Mitarbeiter: rund 3.000
Umsatz: circa 1 Milliarde Euro

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