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Vertraut und doch fremd

In Indien wird oft stark über Gesten kommuniziert. Wenn Inder dabei weniger Worte benutzen als Europäer, hat das allerdings nichts mit Unfreundlichkeit zu tun.

Viele Gesten, wenige Worte. Dazu eine von Religion und Höflichkeit geprägte Gesellschaft, in der es gern gesehen ist, mit der Hand zu essen: Wer nach Indien reist, sollte sich auf eine Geschäftskultur einstellen, die sich zum Teil erheblich von der europäischen unterscheidet.

Fotos: StockImageFactory/stock.adobe.com, privat

Beim Blick auf die indische Etikette zeigt sich: Sie ist eine interessante Mischung aus britischen und asiatischen Einflüssen. „Dadurch erscheinen einige unserer Gepflogenheiten den Westlern in gewisser Weise vertraut, während andere für sie absolut fremd sind“, weiß Neelam Choudhary. Die gebürtige Inderin ist seit drei Jahren als Repräsentantin des JadeWeserPorts in Indien im Einsatz. Dabei liegt ihr Fokus darauf, das Leistungsspektrum Wilhelms­havens bei Roadshows und anderen Veranstaltungen den relevanten Akteuren in Indien bekannt zu machen und mit ihrer langjährigen Erfahrung in der maritimen Wirtschaft als Ansprechpartnerin vor Ort zu fungieren.

Hoppla, Hochzeit!

Ein gutes Beispiel, das sie für eine uns bekannte, aber doch etwas anders ablaufende Verhaltensweise anführt, ist der Austausch der Visitenkarten. Dafür sollte man in Indien ausschließlich die rechte Hand benutzen, denn die linke gilt dort als unrein. Bei der vorherigen Begrüßung gilt es, im Hinterkopf zu haben, dass in der größten Demokratie der Welt eine hierarchische Unternehmenskultur herrscht. „Begrüßen Sie also zuerst die älteste oder ranghöchste Person. Dabei sollten Sie die Anrede ,Herr‘ oder ,Frau‘, den Titel wie ,Dr.‘ oder ,Professor‘ und den Nachnamen verwenden – es sei denn, die andere Person bittet Sie, sie mit dem Vornamen anzusprechen“, so Choudhary. In Sachen Bekleidung empfiehlt sie Männern, bei Geschäftsterminen möglichst ein weißes Hemd und eine Stoffhose zu tragen. Frauen sollten ein Kostüm oder einen Hosenanzug anziehen und sich nicht zu aufreizend präsentieren. Bei persönlichen oder nicht formellen Treffen sind sowohl für Männer als auch für Frauen Jeans und T-Shirt durchaus angemessen. Im Zuge von geschäftlichen Aktivitäten ist es in Indien keine Seltenheit, dass man nicht nur zu einem Essen, sondern auch zu einer privaten Geburtstagsfeier oder sogar zu einer Hochzeit eingeladen wird. Für diesen Fall sollten Männer versuchen, eine Kurta zu tragen und Frauen einen Sari. 

Doch zurück zum Geschäftstermin. Hier gilt es, eine gehörige Portion Geduld mitzubringen – sowohl hinsichtlich des Starttermins als auch hinsichtlich der Gesprächsdauer – und sich stets darüber im Klaren zu sein, dass die persönliche Beziehung zum Geschäftspartner in Indien erheblich wichtiger ist als in Europa. Diese Verbindung muss zunächst behutsam aufgebaut werden. Zum gegenseitigen Kennenlernen eignen sich dann vor allem Fragen rund um die Familie. „Seien Sie jederzeit darauf eingestellt, dass Ihnen manche Fragen irrelevant oder zu persönlich erscheinen, aber versuchen Sie, geduldig zu sein und darauf einzugehen“, empfiehlt Choudhary. Als gute Türöffner im besten Small-Talk-Sinne empfiehlt sie unter anderem die Thematisierung der Reise von Europa nach Südasien, des Essens in Indien – oder einen Austausch über die jeweiligen Hobbys. Aber Vorsicht: Wer mit Indern über deren „Obsession“ Cricket diskutiert, sollte umfangreicheres Hintergrundwissen mitbringen. Als thematische No-Gos sieht Choudhary hingegen politische Themen oder Diskussionen über das Kastensystem in Indien. „Wir Inder sind stolz auf unsere Kultur und unsere Geschichte. Aber wir diskutieren religiöse Einstellungen oder politische Meinungen nicht gerne mit Fremden, da dies Themen sind, zu denen sie starke Gefühle haben“, erläutert Choudhary.

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„Seien Sie jederzeit darauf eingestellt, dass Ihnen manche Fragen irrelevant oder zu persönlich erscheinen.“

Neelam Choudhary, Repräsentantin des JadeWeserPorts in Indien

Weniger Worte, mehr Gesten

Für Ausländer, die nicht ins Fettnäpfchen treten wollen, ist es wichtig, dies zu berücksichtigen und Gefühle – wenn sie denn gezeigt werden – zu respektieren. Dazu gehört es auch, zu akzeptieren, dass in Indien stärker über Gestern kommuniziert wird als in unseren Breitengraden. Dabei erlauben es diese Gesten oft, auf Worte zu verzichten, die viele Europäer allerdings für überaus wichtig halten, um ihre Vorstellungen verbal zu unterstreichen. Bedingt durch diese Unterschiede im Kommunikationsstil kann es dazu kommen, dass Inder auf Europäer wortkarg wirken oder sogar als unfreundlich empfunden werden. Das ist aber nicht der Fall. „Inder sind im Allgemeinen freundlich und ausdrucksstark. Sie verwenden Körpersprache, um Botschaften zu vermitteln. Deshalb neigen sie auch nicht zu vielen Worten und zu viel Körperkontakt“, so Choudhary. Dennoch gehört das Händeschütteln längst zum Geschäftsalltag. Oft nicken oder verbeugen sich die Menschen in Indien dabei. In nicht urbanen Gebieten kann es auch sein, dass man mit dem Wort „Namaste“ begrüßt wird, was so viel heißt wie „Ich verbeuge mich vor dir“. In diesem Fall gilt es als respektvoll, das Wort zu wiederholen, dabei die Handflächen zusammenzulegen und sich leicht zu verbeugen oder mit dem Kopf zu nicken.

Von der Hand in den Mund

Was die Planung von Geschäftsterminen und -essen betrifft, so wählen viele indische Unternehmer dafür gerne Termine, die als gute oder glücksverheißende Tage angesehen werden. Ebenso ist es üblich, zu Beginn neuer Unternehmungen religiöse Zeremonien durchführen – zum Beispiel bei Einweihungen oder bei der Eröffnung neuer Fabriken. Wenn ein Geschäftspartner nach dem Businesstermin zu einem gemeinsamen Essen eingeladen wird, erhöht dies die Wahrscheinlichkeit, dass beide zu einer Übereinkunft kommen. Gleichzeitig sollte dieses Essen als Möglichkeit gesehen werden, den indischen Gastgebern Respekt zu erweisen und sich für ihre Gastfreundschaft zu bedanken. In Restaurants ist es dabei üblich, mehrere Gerichte zu bestellen, von denen alle probieren. „Lassen Sie den Gastgeber das Essen bestellen und scheuen Sie sich nicht, Ihr Besteck liegen zu lassen und mit der rechten Hand zu essen“, rät Choudhary.­ Bei cremigen Currys und flüssigen Speisen dürfe man aber selbstverständlich ein Stück Chapati-Fladenbrot oder auch Reis zur Hilfe nehmen. Eine Einladung zum Essen abzulehnen, sollte man sich jedoch gut überlegen. „Das geht nur, wenn Sie einen wirklich triftigen Grund dafür haben. Ansonsten haben Sie für weitere Verhandlungen schlechte Karten“, mahnt ­Choudhary. (bre)

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