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Magazin für Häfen, Schifffahrt und Logistik

Von der Nordsee in den Orbit

Am 13. April 1970 ging in der NASA-Missions-Überwachungszentrale der berühmte Funkspruch „Houston, wir haben ein Problem!“ ein. Eine Aussage, die die German Offshore Spaceport Alliance (GOSA) gern in umgekehrter, positiver Form vermelden möchte, wenn sie ab 2023 kleine Trägerraketen von einem Spezialschiff auf der Nordsee abschießen wird – getreu dem Motto: „Bei uns gibt es keine Komplikationen.“

Schon in zwei Jahren könnte diese Animation Realität werden. Dann würden kleine Trägerraketen von einem Spezialschiff auf der Nordsee abgeschossen werden.

Foto: GOSA, Harren & Partner Gruppe, OHB-Gruppe

Bereits in zwei Jahren sollen die futuristisch anmutenden Pläne eines deutschen Weltraumbahnhofs in Bremerhaven Realität werden. Zu diesem Zweck haben sich die Reedereigruppe Harren & Partner, die OHB-Gruppe, MediaMobil und Tractebel DOC Offshore in Bremen zu einem Initialkonsortium zusammengeschlossen und Lampe & Schwartze sowie BLG LOGISTICS als strategische Partner mit ins Boot geholt. „Als GOSA wollen wir ein neues Kapitel in der deutschen und europäischen Raumfahrt aufschlagen und Microlauncher nicht vom Festland, sondern von einem Schiff aus starten lassen, um einen Überflug über bewohnte Gebiete zu vermeiden“, erläutert Sabine von der Recke, Sprecherin der GOSA. Noch liegen nach ihrer Aussage für das Zukunftsprojekt aber nicht alle Genehmigungen des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie sowie des Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur vor.

Raketen von drei unterschiedlichen Herstellern

Dennoch haben die Planungen der GOSA-Partner bereits sehr konkrete Konturen angenommen. So soll auf einemGelände der ABC-Halbinsel in Bremerhaven eine sogenannte Integrationshalle entstehen, in der die kleinen Trägerraketen zusammengesetzt und bestückt werden. „Wir arbeiten derzeit mit verschiedenen Herstellern von Microlaunchern zusammen, auch den drei deutschen Unternehmen HyImpulse, Rocket Factory und Isar Aerospace. Sie werden unterschiedliche Raketen in einer Größe von bis zu 30 Metern bauen, die Satelliten mit einem Gewicht zwischen 400 und 1.200 Kilogramm aufnehmen können, die dann in bis zu 700 Kilometern Höhe in den erdnahen Orbit geschossen werden“, umreißt Dr. Andreas Stamminger, Projektleiter der GOSA, die wenigen Fakten, über die er zum gegenwärtigen Zeitpunkt offiziell kommunizieren darf.

„Bevor die Raketen in die Luft gehen, bedarf es einer umfangreichen Logistik.“

Sie arbeiten für die erfolgreiche Umsetzung einer Vision: Andreas Stamminger (OHB System), Sabine von der Recke (OHB-Gruppe) und Malte Steinhoff (Harren & Partner Gruppe).

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Das Sicherheitskonzept für das Projekt hat bereits konkrete Formen angenommen. Hier ist zu sehen, wo die eingesetzten Teilnehmer platziert werden könnten.

 

Bevor die Raketen in die Luft gehen, bedarf es aber einer umfangreichen Logistik. Dabei soll nach aktuellem Stand ein Rotationsprinzip mit mehreren Launchboxen – so nennen die Partner die Boxen, in denen die Raketen bereits zusammengesetzt aufs Schiff transportiert werden – zum Tragen kommen. Ist das auf dem besagten Gelände in Bremerhaven geschehen, werden sie im dortigen Hafen per Self-Propelled Modular Transporter (SPMT) über Rampen auf ein RoRo-Schiff gefahren, das später auch als Abschussplattform für die Rakete dienen soll. Eingeplant ist dafür das 169 Meter lange und 25 Meter breite Dockschiff „Combi Dock I“ der Reederei Harren & Partner. Sie verfügt über eine diversifizierte Flotte mit spezialisierten Offshore-Schiffen und bringt die Expertise zahlreicher erfahrener Ingenieure aus allen Fachgebieten des maritimen Engineerings in das Projekt ein. „Wir werden an dem Schiff noch einige Modifikationen vornehmen, ehe es losgehen kann. Denn die ‚Combi Dock I‘ ist zwar bestens für den Transport von Raketen geeignet, aber wir haben bislang noch keine Flugkörper von Bord aus abgeschossen. Damit das problemlos möglich sein wird, bedarf es einiger Umbauarbeiten: Beispielsweise muss das Schiff mit einem Verriegelungssystem ausgestattet werden, um die Startbox an ihrer vorgesehenen Stauposition zu sichern“, so Malte Steinhoff, Head of Marketing and Communications bei der Harren & Partner Gruppe. Zudem erklärt er, warum das Konsortium mit unterschiedlichen Launchboxen agieren will: „So besteht die Möglichkeit, an Land auch dann kontinuierlich weiterzuarbeiten, wenn eine Rakete auf See ist. Denn wir gehen derzeit davon aus, dass je nach Bedarf alle ein bis zwei Wochen ein Microlauncher an den Start gehen wird, um wichtige Daten zu sammeln, die später beispielsweise für den Umwelt- und Klimaschutz oder die Telekommunikation genutzt werden können.“

Ein Projekt ohne Erfahrungswerte

Das Sicherheitskonzept für die Raketenstarts auf See ist ebenfalls schon sehr konkret umrissen. So will man mit der beladenen „Combi Dock I“ rund 460 Kilometer bis zum westlichen Rand der deutschen ausschließlichen Wirtschaftszone fahren – eine Region, die umgangssprachlich auch häufig als „Entenschnabel“ bezeichnet wird. Von dort aus soll die Rakete, nachdem sie vor Ort aufgerichtet und betankt worden ist, abgeschossen werden. Zuvor werden aber die Mannschaft und alle weiteren Personen die „Combi Dock I“ verlassen haben. In ausreichendem Abstand mit mindestens zwei Meilen Entfernung sollen dann das Begleitschiff und die Kontrollstation positioniert werden, von wo aus der Abschuss per Fernsteuerung erfolgt. In einem Abstand von sieben Meilen befindet sich überdies ein weiteres Schiff, wie es auch für Sicherungsaufgaben und Rettungseinsätze bei Bohr- und Förderplattformen in Offshore-Öl- und Gasfeldern eingesetzt wird. Last but not least ist geplant, in sicherer Entfernung ein Bergungsschiff zu parken, das bei Bedarf die im Meer gelandeten Trägerstufen der Rakete einsammelt.

„Unser Ziel, die Plattform für einen ersten Raketenstart im Jahr 2023 bereit zu haben, ist ambitioniert, aber realistisch. So ein Projekt hat es in dieser Form bisher noch nicht gegeben. Das heißt, wir müssen jeden Schritt minutiös planen, ohne auf entsprechende Erfahrungswerte zurückgreifen zu können“, erläutert Steinhoff. Schließlich wollen die GOSA-Partner im Zeitalter der Digitalisierung und künstlichen Intelligenz wichtige Daten generieren, die im Interesse zahlreicher Unternehmen und der gesamten deutschen Wertschöpfungskette sind. Und da möchte man natürlich keine Problemmeldung à la Houston nach der Abarbeitung der gemeinsamen Checkliste hören. (bre)