Laut der im Oktober 2024 vorgelegten „Verkehrsprognose 2040“ wird der Verkehr in Deutschland bis zum Jahr 2040 deutlich wachsen, vor allem im Güterbereich. So soll die Verkehrsleistung nach Einschätzung des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr (BMDV) im Vergleich zu 2019 um rund ein Drittel zulegen – von 689 auf 905 Milliarden Tonnenkilometer. Eine Entwicklung, die auch die Infrastruktur im Hinterland der Häfen vor vielfältige Herausforderungen stellen wird. Doch es gibt bereits Strategien und Projekte, die die Verkehrsträger Lkw, Bahn und Binnenschiff in unterschiedlicher Weise mit einbinden.
Wichtiges Zahlenmaterial zur Verkehrsentwicklung im Hinterland liefert die „Marktbeobachtung Güterverkehr – Containerbeförderungen in der Binnenschifffahrt und im Schienengüterverkehr in Deutschland“, die das Bundesamt für Logistik und Mobilität (BALM) im vergangenen Jahr veröffentlicht hat. Danach sind die Containerbeförderungen auf der Schiene von knapp 4,2 Millionen TEU im Jahr 2005 auf rund 7,7 Millionen TEU im Jahr 2022 – und damit um rund 85 Prozent – gestiegen. Gleichzeitig erhöhte sich das Containeraufkommen in der Binnenschifffahrt von rund 2,1 Millionen TEU im Jahr 2005 bis zu knapp 2,6 Millionen TEU im Jahr 2017, ehe es in der Folgezeit bis auf knapp 2 Millionen TEU im Jahr 2020 zurückging. Damit lag das Beförderungsaufkommen an Containern auf deutschen Wasserstraßen 2022 um rund 6,6 Prozent unter dem Niveau von 2005.
Interessante Schlüsse lassen sich auch aus der Anfang 2025 vom BALM veröffentlichten Onlinebefragung unter dem Titel „Marktbeobachtung Güterverkehr – Stimmungsbild Kombinierter Verkehr“ ableiten. Diese zeigt unter anderem, dass Unternehmen, die den kombinierten Verkehr (KV) bereits aktiv nutzen, diesem gegenüber positiver eingestellt sind als Unternehmen, die nicht im KV aktiv sind. Als Stärke des KV wird von den Befragten seine Klima- und Umweltfreundlichkeit hervorgehoben, während er zugleich als unflexibel, aufwendig und unpünktlich wahrgenommen wird. Der Kreis schließt sich gewissermaßen wieder mit der „Verkehrsprognose 2040“, die für die einzelnen Verkehrsträger folgende Trends ausweist: Auf der Schiene legt der Güterverkehr am stärksten zu (plus 35 Prozent), der Lkw bleibt mit einem Plus von 34 Prozent das dominierende Verkehrsmittel, während die Transporte auf dem Wasserweg zurückgehen.
Gemini Cooperation könnte positive Spirale in Gang setzen
Mit dem Wissen um diese Entwicklungen umreißt Sönke Maatsch, Projektleiter am Institut für Seeverkehrswirtschaft und Logistik (ISL) und dort Experte für die Schwerpunkte Häfen und maritime Transportketten, die aktuelle Lage wie folgt: „Die Hinterlandverkehre zeigten sich in den vergangenen Jahren im Verhältnis deutlich stabiler als die Transshipments. Das ist vor allem auf die guten Zugverbindungen ins Hinterland zurückzuführen, die den deutschen Häfen in vielen Regionen einen entscheidenden Marktvorteil, auch gegenüber den ARA-Häfen, verschaffen.“
Vor diesem Hintergrund sei die Bahn aus seiner Sicht auf langen und mittleren Strecken „nahezu alternativlos“. Allerdings würden auch auf kürzeren Strecken bis zu 300 Kilometer Entfernung zunehmend Transporte mit der Bahn erprobt. „Der Lkw ist im Nahbereich flexibler. Aber je mehr preislich und operativ attraktive Alternativen auf der Schiene angeboten werden, umso mehr sind die Marktteilnehmer gewillt, diese Option in Betracht zu ziehen“, sagt Maatsch. Dann legt er aber doch den Finger in die Wunde: „Die Anfälligkeit des Schienennetzes ist, ebenso wie die Sperrungen verschiedener Schienenkorridore im Rahmen der Generalsanierung, auch für den Güterverkehr sehr schmerzhaft. Hier wird die Zukunft der Bahn zu weiten Teilen davon abhängen, dass die Erneuerung der Infrastruktur erfolgreich und schnell gelingt“, so Maatsch.
Mit einer gehörigen Portion Optimismus blickt er jedoch in Richtung JadeWeserPort und auf die im Februar 2025 gestartete Gemini Cooperation zwischen Hapag-Lloyd und Maersk. „Wenn die angekündigten Mengen tatsächlich über den gemeinsamen Liniendienst nach Wilhelmshaven kommen, könnte das eine positive Spirale für das dortige Hinterland in Gang setzen“, ist sich Maatsch sicher. Auch beim Blick auf Bremerhaven sieht er eine positive Tendenz: „Im Gegensatz zu anderen Standorten hat der Verkehrsträger Binnenschiff dort seinen Marktanteil in den vergangenen Jahren erhöhen können.“ Mit Blick auf die Verlagerung von Verkehren auf Bahn und Binnenschiff nimmt er allerdings Abstand von starren Zielvorgaben. „Die Politik hat mit der CO2-Bepreisung einen Rahmen gesetzt, dessen Wirkung zunehmend sichtbar wird. Aber wo keine ausreichenden Mengen sind, kann sich auch kein gebündelter Verkehr entwickeln“, lautet seine Analyse.
„Wir brauchen alle Verkehrsträger“
Und wie schätzt die Politik die aktuelle Lage rund um die Hinterlandanbindungen ein? Olaf Lies, Niedersächsischer Minister für Wirtschaft, Verkehr, Bauen und Digitalisierung, formuliert es so: „Eine starke Wirtschaft braucht starke Verkehrswege. Unsere Häfen sind das Tor zur Welt – aber sie funktionieren nur, wenn die Anbindung ans Hinterland stimmt.“ Unter dieser Prämisse habe man zwar im Zuge des Bundesverkehrswegeplans 2030 bereits wichtige Maßnahmen auf den Weg gebracht, doch müsse nun eine langfristige Strategie folgen, die Straßen, Schienen und Wasserwege gleichermaßen in den Fokus nehme. „Mehr Kapazitäten im Schienen- und Straßennetz, leistungsfähigere Hafenanbindungen und eine bessere Vernetzung mit den großen Wirtschaftsregionen – das sind die Stellschrauben für eine zukunftsfähige Infrastruktur“, so Lies.
Für ihn steht dabei fest: „Wir brauchen alle Verkehrsträger – und dazu gehört neben Schiene und Wasserstraße eben auch eine gute Straßenanbindung. Die bleibt elementar, nicht nur für den überregionalen Transport, sondern auch für regionale Verkehre und die letzte Meile. Die aktuelle Bedarfsplanüberprüfung des Bundes bestärkt mich da noch einmal in dieser Einschätzung, denn wir werden gerade im Güterverkehr weiteres massives Wachstum erleben. Und da brauchen wir auch den Weiterbau von wichtigen Infrastrukturprojekten wie der A20 und der A39.“ Auf der Schiene fordert Lies indes bessere Finanzierungsprogramme, schnellere Brückenerneuerungen, moderne Stellwerkstechnik, zusätzliche Gleisanschlüsse und eine konsequente Elektrifizierung der Strecken. Und auch bei der Binnenschifffahrt hat er noch Baustellen ausgemacht. „Die Binnenwasserstraße ist der einzige Verkehrsträger mit freien Kapazitäten. Wir müssen die Binnenhäfen ausbauen, mehr Wendemöglichkeiten schaffen und die Schleusen modernisieren, um diesen Verkehrsträger effizienter zu nutzen und als klimafreundliche Alternative weiter auszubauen“, umreißt Lies.
Niedersachsen habe in diesem Kontext bereits mehrfach erfolgreiche Weichenstellungen betrieben. „Der Ausbau der Offshore-Liegeplätze in Cuxhaven, die Sanierung der Großen Seeschleuse in Emden oder die geplante Nordhafenerweiterung in Stade sowie die LNG-Terminals in Wilhelmshaven und Stade sind Beispiele für Investitionen in eine starke Hafeninfrastruktur“, erklärt der Minister. Parallel dazu ist sich Lies sicher, dass die Häfen in Niedersachsen alle Voraussetzungen dafür erfüllen, die zentrale Logistikdrehscheibe für den europäischen Handel und die Energieversorgung der Zukunft zu werden – und sieht dabei den Bund in der Pflicht: „Unsere Häfen übernehmen eine Schlüsselrolle bei der Klimawende und sichern gleichzeitig die Wettbewerbsfähigkeit unseres Wirtschaftsstandorts. Deshalb muss auch der Bund seinen Teil beitragen: bei den Investitionen in die Häfen selbst und in resiliente Hafenhinterlandanbindungen. Sie sind im strategischen, nationalen Interesse.“.
Multimodalität ist Trumpf
Auch in der Bremer Politik steht die Stärkung der Infrastruktur im Hinterland ganz oben auf der Agenda. Dabei ist Multimodalität mit einem klaren Hauptaugenmerk auf den Schienenverkehr Trumpf. „Wir investieren kontinuierlich in die Weiterentwicklung der Bremischen Hafeneisenbahn, um den heute schon führenden Bahnanteil im Hinterlandverkehr auch in Zukunft kontinuierlich zu steigern“, sagt Kristina Vogt, Bremens Senatorin für Wirtschaft, Häfen und Transformation. Vor allem zwei Projekte stellt Vogt in diesem Kontext heraus: „Mit einem Investitionsvolumen von 56,1 Millionen Euro sollen die Kapazitäten am Bahnhof Speckenbüttel erhöht und die Infrastruktur an die steigenden Anforderungen angepasst werden. Parallel dazu führt die DB InfraGO AG ein umfassendes Modernisierungsprogramm für Hochleistungskorridore durch. Beide Projekte treffen im Korridor Bremen–Bremerhaven zusammen.“ Dass die Strecke nach Bremerhaven weit oben auf der Sanierungsliste der Bahn steht, sei aus ihrer Sicht eindeutig zu begrüßen – für die Umsetzung müsse aber klar sein: „Es darf während der Bauzeit keine signifikanten Einschränkungen der Erreichbarkeit unserer Häfen für Güter- und Autozüge geben.“

„Die guten Zugverbindungen ins Hinterland verschaffen den deutschen Häfen einen Marktvorteil.“
Sönke Maatsch, Projektleiter am ISL

„Die Häfen und resiliente Hinterlandanbindungen sind im nationalen Interesse.“
Olaf Lies, Niedersächsischer Minister für Wirtschaft, Verkehr, Bauen und Digitalisierung‘ (Stand 1. Mai 2025)
Ein Pfund, mit dem Bremen wuchern kann
„Die bremischen Häfen sind erstklassig an das Hinterland angebunden“, stellt auch bremenports-Geschäftsführer Robert Howe heraus. Das liege nicht nur an der Hafeneisenbahn, für die bremenports eine gut ausgebaute Schieneninfrastruktur mit rund 200 Kilometern Gleislänge unterhalte. „Das ist ein Pfund, mit dem wir wuchern können“, so Howe. Dabei verweist er neben dem von Vogt angesprochenen Ausbau der Vorstellkapazitäten am Bahnhof Speckenbüttel auf den Terminalbetreiber EUROGATE. Er hat in Bremerhaven eine neue KV-Anlage errichtet, auf die in Kürze noch eine zweite folgen soll. Dazu erklärt Howe: „Mehr als die Hälfte aller Container im Hinterlandverkehr erreichen oder verlassen unsere Häfen auf der Schiene – im RoRo-Bereich sind es sogar gut 80 Prozent aller Fahrzeuge, die Huckepack auf Bahnwaggons im Hinterlandverkehr von oder zu den bremischen Häfen unterwegs sind.“

Aber auch auf der Straße und dem Wasser tut sich im kleinsten Bundesland einiges. So konnte mit der letztjährigen Eröffnung des Hafentunnels und dem Ausbau der Cherbourger Straße eine erhebliche Verbesserung der Hinterlandanbindung der Überseehäfen in Bremerhaven auf der Straße erreicht werden. In Bremen steht nun ein ähnlicher Schritt bevor. Im Zuge der A281 entsteht dort ein rund 1.000 Meter langer Autobahntunnel, der künftig unter der Weser entlangführen wird. 2029 soll dieses Bauwerk fertiggestellt sein und den Autobahnring um Bremen schließen. Dieser stellt dann nicht nur einen weiteren Bypass auf dem Weg nach Bremerhaven dar, sondern verbindet erstmals auch die Industrie- und Hafengebiete Bremens beidseits der Weser für Lkw und Pkw. Wasserseitig stellt die Stromkaje in Bremerhaven für Howe aufgrund ihrer natürlichen Bedingungen einen echten Standortvorteil dar: „Während andernorts regelmäßig und mit weitaus größeren Eingriffen in die Natur gebaggert werden muss, um die entsprechenden Wassertiefen für große Schiffe herzustellen, ist dieser Aufwand in Bremerhaven deutlich geringer. Denn als ebbstrombestimmter Fluss bringt die Weser schlicht einen Großteil ihres Sediments auf natürliche Weise wieder in die Nordsee, erläutert Howe und ergänzt: „Die geplante Außenweser-Vertiefung, die hoffentlich bald realisiert wird, verbessert die Anbindung zusätzlich und stellt die Wettbewerbsfähigkeit der Häfen in Bremerhaven auch für die Zukunft sicher.“

„Wir investieren kontinuierlich in die Weiterentwicklung der Bremischen Hafeneisenbahn.“
Kristina Vogt, Bremens Senatorin für Wirtschaft, Häfen und Transformation
Politisch schwer umsetzbare Entscheidungen
Für Michael de Reese, den Vorsitzenden der Arbeitsgemeinschaft Niedersächsische Seehäfen und Leiter der Rhenus-Division Port Logistics, steht fest: „Ein Hafen, den man nicht erreichen kann – egal ob zu Wasser oder zu Land – wird im Wettbewerb nicht bestehen können.“ Deshalb gehört es aus seiner Sicht zu den vorrangigen Aufgaben, die Seehafenhinterlandanbindungen in Deutschland in den nächsten Jahren bedarfsgerecht auszubauen und zu erhalten. „Die Häfen in Niedersachsen sind für diesen Schritt gut aufgestellt und gut angebunden. Trotzdem besteht erheblicher Handlungsbedarf“, macht de Reese deutlich – und schaut dabei nicht nur auf die Huntebrücke bei Elsfleth oder die noch nicht elektrifizierte Bahnstrecke zwischen Cuxhaven und Stade.
Ebenso betrachtet er den Ausbau der A20 und der A26 als wichtige Infrastrukturprojekte, um die Hinterlandanbindungen der deutschen Nordseehäfen und die Vernetzung der Wirtschaftsräume an Unterweser und Unterelbe auf der Straße maßgeblich zu verbessern. Auf der Schiene hat er zudem eine erhebliche Belastung der Strecken im Dreieck zwischen Hamburg, Bremen und Hannover ausgemacht, weshalb er auf eine zügige Umsetzung des „Alpha-E“-Projekts hofft. Gleichzeigt sagt er: „Das deutsche Schienennetz ist am Limit. Die Generalsanierung der Hauptverkehrsrouten ist ein wichtiger Schritt, aber ohne Neubaustrecken wird es bei der Deutschen Bahn nicht gehen.“ Und durch die Brille der Binnenschifffahrt gibt er zu bedenken: „Auf Elbe, Weser und Ems haben wir zahlreiche Optionen für Transporte auf dem Wasser. Hier gilt es, insbesondere dafür zu sorgen, dass die Schleusen funktionsfähig bleiben.“

In Anbetracht der sich weiter hinziehenden Weser- und Emsvertiefung wird de Reese ebenfalls deutlich: „Sicherlich sind dies Entscheidungen, die politisch schwer umsetzbar sind. Aber die Hafenwirtschaft ist kein Hobby, das wir uns einfach so auf die Fahne geschrieben haben, sondern eine nationale Aufgabe.“ Dementsprechend erwartet er auch finanzielle Unterstützung aus Berlin. Gleichzeitig verweist er auf die Entwicklung in unseren Nachbarländern Niederlande, Belgien und Dänemark. „Dort sind die Belange der Häfen bereits fest in der DNA des Landes verankert. So weit sind wir in Deutschland leider noch nicht. Aber die Nationale Hafenstrategie war schon ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung.“ Dennoch bemängelt er, wie lange es hierzulande braucht, um gute maritime Strategien in die Tat umzusetzen. „Die Zeiträume, die hier für Entscheidungsprozesse benötigt werden, sind definitiv zu lang und nicht mehr zeitgemäß“, sagt de Reese. (bre)

„Die bremischen Häfen sind erstklassig an das Hinterland angebunden.“
Robert Howe, Geschäftsführer bremenports

„Dort sind die Belange der Häfen fest in der DNA des Landes verankert.“
Michael de Reese, Vorsitzender Arbeitsgemeinschaft Niedersächsische Seehäfens