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Adieu Asien?

Auch wenn Produktionsstätten auf dem größten Kontinent der Erde weiterhin von Bedeutung sind – in der Textilindustrie gibt es einen deutlichen Trend zum Nearshoring. Das hat erheblichen Einfluss auf die Fashionlogistik und darauf spezialisierte Dienstleister wie Group 7 und Fiege.

Fotos: istockphoto/KucherukAndrey, Fiege, Group 7

Made in China ist ein Großteil der in Deutschland gekauften Kleidungsstücke. So würde man es vermuten – und liegt damit genau richtig. Das Reich der Mitte ist vor Bangladesch und der Türkei das wichtigste Herkunftsland für unsere Textil- und Bekleidungsimporte. Nicht ganz so bekannt ist unterdessen die Komplexität der Logistik dahinter. Das zeigt sich bereits am Modal Split, der vielen verschiedenen Einflüssen unterliegt.

Nach wie vor stellen Containerschiffe trotz temporär längerer Wartezeiten bei der Abfertigung und – wie vor einigen Monaten in Shanghai – geschlossener Häfen einen Löwenanteil bei der Verteilung des Transportaufkommens. Wie schnell sich aber diese Kenngröße verändern kann, hat sich 2022 gezeigt. „Vergangenes Jahr kam beispielsweise der Güterzugverkehr zwischen China und Europa aufgrund des Ukraine-Krieges nahezu zum Erliegen“, berichtet Hubert Borghoff, Prokurist und Leiter Logistik bei Group 7. „Deshalb haben wir seitdem wieder verstärkt Sea-Air-Verbindungen im Angebot.“

Dass nach wie vor ein Großteil der Waren aus Asien kommt und dann die Seefracht in der Regel der günstigste und übliche Weg ist, hat auch Stephan Wittenbrink, Managing Director im Geschäftsbereich Fashion & Lifestyle bei Fiege, festgestellt. „Vor allem zeitkritische Lieferungen werden mitunter aber per Luftfracht transportiert, auch wenn das insgesamt nur einen kleinen Teil ausmacht.“ Ab dem Hafen werde der Großteil der Waren bisher noch per Lkw zu seinem Bestimmungsort gebracht.

„Allerdings sehen wir durchaus einen Trend zur Verlagerung auf die Schiene“, so der Geschäftsführer. Fiege bietet deshalb bereits verschiedene Lösungen für den Nachlauf per Bahn an. Dabei handelt es sich vor allem um intermodale Transporte, die der Logistikdienstleister künftig weiter ausbauen will. Insgesamt hänge der Modal Split laut Wittenbrink jedoch stark von den jeweiligen Produktgruppen und den Produktionsländern ab.

Viel Arbeit für Fashionlogistiker wie Fiege und Group 7: Pro Kopf und Jahr werden in Deutschland etwa 47 Kleidungsstücke gekauft, von denen bisher etwa zwei Drittel aus China stammen.

Nearshoring gewinnt an Bedeutung

Sowohl bei Fiege als auch bei Group 7 beobachten die Manager einen klaren Trend zur Verlagerung ins nahe gelegene Ausland. „Durch die Corona- und die Energiekrise spielt das Thema Nearshoring zunehmend eine Rolle“, so Wittenbrink. Allerdings fehle es in Europa insgesamt noch an entsprechenden Kapazitäten und – abhängig von den Produktgruppen – auch an Beschaffungsstrukturen. Derzeit werde die Produktion insbesondere in der Türkei und in Portugal nachgefragt und ausgebaut. Nordafrika werde als Standort in Zukunft ebenfalls an Bedeutung gewinnen. „Wir sehen aber durchaus auch die Tendenz, dass aus Asien mitunter früher geordert wird, um lange Transportwege und mögliche Lieferbeeinträchtigungen auszugleichen“, berichtet der Fiege-Manager.

„Produktionsstätten in Osteuropa, der Türkei oder Nordafrika und hier besonders die Länder Ägypten, Tunesien und Marokko sind heiß begehrt“, berichtet Borghoff. Der Logistikdienstleister berät hier verstärkt bei der Zollabwicklung und verzeichnet aus Osteuropa und der Türkei eine steigende Nachfrage nach Lkw-Verkehren. Auch dass Nearshoring nur ein Teil der Strategie der Kunden ausmache und diese weiterhin mit Produktionsstätten in Asien arbeiteten, beobachtet der Group-7-Logistikleiter. Gleichzeitig fragten die Kunden verstärkt Lagerkapazitäten an, um auf diese Weise eine stabile Lieferfähigkeit zu erreichen.

Bei Fiege rechnet man ebenfalls damit, dass die Nachfrage nach Warehousing-Kapazität nahe des Absatzmarktes steigen wird. „Außerdem gibt es einen immer stärkeren Fokus auf einen ausgewogenen Mix der Absatzkanäle, Stichworte: Omnichannel und Marketplaces“, erläu-tert Wittenbrink. Deshalb bietet das Unternehmen Lösungen insbesondere rund um Lagerlogistik und Transport aus einer Hand über alle Absatzkanäle hinweg an.

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Fakten

Geschäftsbereich Fashion &
Lifestyle bei Fiege

Gründung: Bündelung alle Fashion- und Lifestyle-Aktivitäten Anfang 2022 in einem eigenen Geschäftsbereich
Standorte: 9 in Deutschland, dazu verschiedene in Europa, beispielsweise in Polen und Italien sowie in Asien
Dienstleistungen: insbesondere Lagerlogistik und Transport
Mitarbeiter: etwa 5.000 allein in Deutschland
Umsatz 2021: rund 250 Millionen Euro in Deutschland, 560 Millionen Euro in Europa

Stephan Wittenbrink, Managing Director im Geschäftsbereich Fashion & Lifestyle bei Fiege

„Durch die Corona- und die Energiekrise spielt das Thema Nearshoring zunehmend eine Rolle.“

Stephan Wittenbrink, Managing Director im Geschäftsbereich Fashion & Lifestyle bei Fiege

Wichtiger Bestandteil der Textillogistik ist auch das Retouren- und Qualitätsmanagement.

Liefersicherheit wird immer wichtiger

Insgesamt wirken sich Störungen in der Lieferkette, Geopolitik und Nachhaltigkeit am stärksten als Einflussfaktoren auf die Supply Chain aus. „Derzeit ist das Thema Disruption in der Supply Chain das gravierendste“, meint Borghoff. „Es ist deshalb so bedeutend, weil es von heute auf morgen die Lieferfähigkeit und damit den Cashflow unserer Fashionkunden bedroht hat.“

Dass es die deutlichsten Auswirkungen derzeit durch Lieferkettenstörungen gibt, findet auch Fiege-Manager Wittenbrink. Ein strikter Lockdown wie in China und die Blockade des Suezkanals würden sofort sämtliche Bereiche betreffen. Dadurch hätte sich gezeigt, wie groß Auswirkungen sein können und dass spontane Lösungen erforderlich sind. Zudem hätten die aktuelle geopolitische Situation und der Krieg in der Ukraine viele Unternehmen zum Handeln gezwungen.
Als Fertigungsland gewinnt bei den Fashionkunden von Group 7 insbesondere die Türkei an Bedeutung, beobachtet Borghoff. „Logistisch ist damit für uns eine verstärkte Nachfrage nach Lkw-Verkehren verbunden.“

Veränderungen im Modal Split

„Geografisch näher gelegene Produktionsländer erhöhen zum einen die schnelle Warenverfügbarkeit und zum anderen die Planbarkeit“, erläutert Wittenbrink. Fiege ist daher beispielsweise auch in der Türkei und in Italien vertreten, um seine Kunden entlang der gesamten Supply Chain eng zu begleiten. Ganz allgemein gelte: „Für viele Dienstleister in Europa dürfte die Hürde im Vergleich zu Asien tiefer liegen, sich in diesen Märkten zu etablieren und mit den Lieferketten zu verzahnen.“ Es sei daher davon auszugehen, dass die Bedeutung von europanahen Herstellungsländern in Zukunft weiter zunehme. Dies bedeute nach Ansicht von Wittenbrink für die Dienstleister neben einer lagerlogistischen Abwicklung in den Herstellungsländern – auch eine Verlagerung des Transports auf die Straße und die Schiene. „Gewinner im Modal Split ist aus meiner Sicht der Lkw, bedingt durch den Trend zum Nearshoring“, unterstreicht auch Borghoff.

Nach Einschätzung beider Experten für Fashionlogistik wird in den kommenden zehn Jahren zudem das Thema Nachhaltigkeit einen wachsenden strategischen Stellenwert einnehmen. Bei Group 7 hat man beispielsweise alle Prozesse der gesamten Supply Chain von der Warenübergabe in den Produktionsfirmen bis hin zur Auslieferung an die Endkunden und die Stores genau untersucht. „Als wichtigen Gamechanger für die Fashionlieferkette haben wir 2012 unseren CO2-Rechner eingeführt“, berichtet Borghoff. „Er kalkuliert und dokumentiert den CO2-Ausstoß für jede Sendung weltweit – ob sie per Luft, See, Bahn oder Lkw transportiert wird. Damit haben wir auch vielen Kunden geholfen, ihre eigene CO2-Bilanz zu verbessern.“ (cb)

Fakten

Fashionlogistik bei Group 7

Gründung: 2006
Standorte: 9 deutsche Niederlassungen
Dienstleistungen: vor allem Lagerlogistik und Transport
Mitarbeiter: 700
Umsatz 2021: rund 240 Millionen Euro

Stephan Wittenbrink, Managing Director im Geschäftsbereich Fashion & Lifestyle bei Fiege

„Produktionsstätten in Osteuropa, der Türkei oder Nordafrika und hier besonders die Länder Ägypten, Tunesien und Marokko sind heiß begehrt.“

Hubert Borghoff, Prokurist und
Leiter Logistik bei Group 7

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