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Gemeinsam und hybrid forscht es sich besser

Im Maritimen Technikum Leer treiben Wissenschaftler des Fachbereichs Seefahrt und Maritime Wissenschaften der Hochschule Emden/Leer und des Fraunhofer-Instituts für Windenergiesysteme (IWES) in Bremerhaven gemeinsam die maritime Forschung voran.

Im Schlepptank wird aktuell eine segelnde Kombifähre für den Inselstaat Marshall Islands entwickelt.

Fotos: TOBIASTRAPP, AKKA OLTHOFF, ISTOCK/RELAXFOTO.DE/SHULZ

Am Schifffahrtsstandort Leer ist Niedersachsen mit der Hochschule Emden/Leer und ihren rund 110 Professoren und 4.600 Studenten bereits jetzt gut aufgestellt. Mit dem vor knapp einem Jahr eröffneten Maritimen Technikum werden nun Forschung und Lehre am Fachbereich Seefahrt und Maritime Wissenschaft noch weiter optimiert. Weiterhin wird das neue Großlabor als Informations- und Dienstleistungspartner für die Region und darüber hinaus fungieren. Rund 6,4 Millionen Euro hat das Bundesland dafür insgesamt investiert.

„Die Besonderheit des Maritimen Technikums ist, dass hier die Hochschule Emden/Leer und das Fraunhofer-Institut für Windenergiesysteme (IWES) aus Bremerhaven gemeinsam einen Forschungsstandort für nachhaltige maritime Mobilität entwickeln“, berichtet der Ingenieurwissenschaftler Jann Strybny. Als Professor für Maritime Umwelttechnik und Strömungsmechanik forscht und lehrt er hier. Darüber hinaus oblag ihm die wissenschaftliche Leitung der Planung und des Baus des Technikums wie auch die Vorbereitung der Kooperation mit dem IWES.

Entwicklung, Bau und Betrieb von Windantriebssystemen für die Berufsschifffahrt

Von besonderer Bedeutung für das Technikum ist die Fraunhofer-Arbeitsgruppe „Nachhaltige Maritime Mobilität“, mit der eine enge Zusammenarbeit zwischen Hochschule und IWES unter gemeinsamer Leitung an beiden Standorten aufgebaut wird. „Unser Kerninteresse gilt dabei der Transformation der Schifffahrt zu einem nachhaltigeren Transportsystem mit erneuerbaren Energiequellen“, erläutert Strybny. „Ein wesent-licher Schwerpunkt unserer Arbeit wird die Entwicklung, der Bau und der Betrieb zukunftsweisender Windantriebssysteme, also der Segeltechnologie für die Berufsschifffahrt sein.“

Hier geht es zum einen um die direkte Nutzung der Windenergie, also beispielsweise von direkt auf dem Schiff installierten Aufbauten wie Flettner-Rotoren, Wingsails oder Dyna-Riggs. Dabei sind unter Wingsails vereinfacht ausgedrückt vertikale Flugzeugtragflächen zu verstehen, und bei Dyna-Riggs handelt es sich um rahbasierte, das heißt zumeist rechteckige oder trapezförmige Segelsysteme. „Drachen werden sich allerdings anders als andere Systeme eher nicht durchsetzen, da bei ihnen die Wartung aufwendig und keine lange Haltbarkeit gewährleistet ist“, räumt Strybny ein. „Zukunftsfähig sind hingegen sehr leistungsfähige und hochgradig automatisierbare sowie zuverlässig mit wenig Besatzung und minimalem Schadensrisiko betreibbare Windantriebssysteme.“ Die zweite Möglichkeit sei die indirekte Nutzung der Windenergie in Form von künstlichen Kraftstoffen, die dann auf Schiffen mit klassischen Verbrennungsmotoren oder Brennstoffzellen eingesetzt werden können.

„Insgesamt ist der Entwicklungsstand der Nutzung von Windantrieben in der Schifffahrt etwa vergleichbar mit dem der Windenergie in den 1980er-Jahren“, berichtet der Professor. „Damals betrug beispielsweise die Nennleistung der ersten Onshore-Anlagen 55 Kilowatt – heute hat die größte Windkraftanlage an der britischen Ostküste eine Nennleistung von 14 Megawatt, also das 255-Fache.“

Wissenschaftler und Studierende nutzen den speziell für die Erforschung von Segelsystemen optimierten Windkanal.

Von der Windenergie lernen

Deshalb will man sich im Rahmen der Arbeitsgruppe „Nachhaltige Maritime Mobilität“ auch vor allem den sogenannten Crossover- und Upscaling-Effekten zwischen Segeltechnologie und klassischen Windenergiesystemen widmen. „Ganz so, wie auch die Lerneffekte in der klassischen Windenergie zu einer Skalierung nach oben geführt haben, wollen wir das auch für die Antriebstechnologie nutzen. Insbesondere die mechanischen und werkstoffwissenschaftlichen Fortschritte in der Windindustrie können auf die Schifffahrt übertragen werden“, erläutert Strybny. „Das sehen wir als wesentliche Chance der Kooperation mit dem Fraunhofer-IWES.“

Bei dieser Art des Antriebs handelt es sich um säulenförmige Segel, deren rotierende Zylinder für Vortrieb sorgen. Mit einem Durchmesser von drei Metern sind sie beispielsweise auf der „Fehn Pollux“ der Leeraner Reederei Fehn Ship Management seit vier Jahren in Betrieb. Mit einem neuen Hightech-Passagierschiff für einen norddeutschen Auftraggeber, das mit einem Segelsystem an Deck ausgerüstet wird, gibt es in der Region bereits einen weiteren konkreten Anwendungsfall.

„Für Tankschiffe sind durchaus 60 Meter hohe Rotoren mit einem Durchmesser von zehn Metern denkbar, von denen dann vier bis sechs verbaut werden“, berichtet der Forscher. Vor einem massenhaften Verbau sind allerdings noch einige Fragen zu klären, beispielsweise wie viele Rotoren an Deck verbaut werden, wie groß sie sein dürfen und wie das die Aerodynamik beeinflusst.

Klein, aber präzise: alle Versuchsanlagen in einem Großlabor

Dafür steht nun das neu gebaute Großlaboratorium zur Verfügung. „Das ist auf diese Weise einzigartig in Deutschland“, stellt Strybny heraus. „Denn für alle relevanten maritim-technischen Prozesse haben wir hier leistungsfähige Forschungsgroßgeräte in einer einzigen großen Versuchshalle zusammengeführt.“ Das Spektrum reicht dabei von Schlepptank, Wellenmaschine und Manöverbecken über Windkanal und Rinnen für Studien zum Sedimenttransport bis hin zu einem Schiffsantriebslabor und einem maritimen Akustiklabor. „Bei der Planung wurde der Schwerpunkt nicht auf die Maximierung der Größe gelegt, sondern auf die Komplettierung der Vielzahl der Prozesse und die außerordentliche Präzision der Anlagen“, erklärt er. „Das ist möglich, weil die Modellierung hybrid erfolgt, was bedeutet, dass wir mit mathematischen Modellen arbeiten und diese durch Laborversuche absichern.“

Ganz wichtig ist Strybny aber auch die Kooperation mit der Nationalparkverwaltung Niedersächsisches Wattenmeer: So sollen das Laboratorium und die Ausstellungsflächen als außerschulischer Lernort entwickelt und die Schüler für die maritime Zukunft begeistert werden. Und die kann jetzt in vielfacher Hinsicht in Leer beginnen. (cb)

Fakten

Maritimes Technikum Leer

Großlabor: Einrichtung des Fachbereichs Seefahrt und Maritime Wissenschaft, Hochschule Emden/Leer
Bauzeit: März 2019 bis Juni 2021
Baukosten: rund 6,4 Milliarden Euro
Mitarbeiter: 40 (Fachbereich Seefahrt),
davon 12 in der Fraunhofer- Arbeitsgruppe „Nachhaltige Maritime Mobilität“

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