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Magazin für Häfen, Schifffahrt und Logistik

Mit High Speed in die Zukunft?

Wo geht die Reise in Sachen Digitalisierung und Automatisierung hin, und wo stehen wir gerade? Wo hakt es noch, und wie kann man die Digitalisierung am besten vorantreiben? Fest steht: Geschwindigkeit ist zwar nicht alles, sie sollte aber auch nicht unterschätzt werden.

Fotos: AdobeStock/ anttoniart, Jade Hochschule,
Sabine Nollmann, bremenports (4x), Nports, JWP,
NPorts Andreas Burmann (2x), Nports

Smarte Digitalisierung ist ein wichtiger Schlüssel für die maritime Branche und die Logistik. Ob es hier aber schnell genug vorangeht oder Nachholbedarf besteht, wird unterschiedlich bewertet. Positiv fällt beispielsweise die Beurteilung des Branchenverbands der deutschen Informations- und Telekommunikationsbranche aus. Laut Bitkom ist die deutsche Logistik „ein digitaler Vorreiter“ und die Mehrheit der hiesigen Logistikunternehmen „technologisch gut aufgestellt“. Ähnlich das Ergebnis der Telekom-Studie „Digitalisierungsindex Mittelstand 2020/2021“. Danach befinden sich Transport- und Logistikunternehmen in einer krisensicheren Position und sind bereit, ihre Investitionen in Digitalisierungsprojekte zu erhöhen.

Einen leicht anderen Eindruck vermittelt der „Digitalisierungsindex 2022“ des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz. Dort heißt es: „Die Wirtschaft in Deutschland ist 2022 im Vergleich zu 2021 nur geringfügig digitaler geworden. Nach dem starken Anstieg im Jahr 2021 kann 2022 von einer Stagnation der Digitalisierung gesprochen werden.“ Spitzenreiter bei der Digitalisierung waren vergangenes Jahr demnach die Branchen Informations- und Kommunikationstechnologie sowie der Fahrzeugbau. Indes habe sich die Branche Verkehr und Logistik „deutlich unterdurchschnittlich“ entwickelt, heißt es im „Digitalisierungsindex 2022“. Optimisten werten die Ergebnisse der Studie als gute Nachricht, weil die deutsche Wirtschaft keine Rückschritte bei der Digitalisierung gemacht habe. Pessimisten fühlen sich indes in ihrer Ansicht bestätigt, dass die Digitalisierung hierzulande im Schneckentempo erfolge.

Holocher und Freitag sehen Handlungsbedarf

Klaus Harald Holocher, Professor für europäische Verkehrswirtschaft und Hafenmanagement an der Jade Hochschule, bewertet die aktuelle Lage so: „Zahlreiche Studien belegen, dass Deutschland nicht gerade die Speerspitze der Digitalisierung in Europa ist. Aus meiner Sicht befinden sich die hiesigen Häfen aber auf einem guten, wenn auch zu langsamen Weg. Um schneller voranzukommen, müssten der Bund und die Küstenländer, ihre Behörden sowie die maritime Wirtschaft enger und schneller zusammenarbeiten und den Fokus stärker auf die Vorteile wie Kosten- und Effizienzgewinne als auf die Datenschutzgrundverordnung setzen.“

Michael Freitag, geschäftsführender Direktor des BIBA – Bremer Institut für Produktion und Logistik, differenziert bei seiner Einschätzung noch weiter: „Einerseits gibt es einige innovative Unternehmen mit Leuchtturmprojekten, andererseits ist der Stand der Digitalisierung in KMUs sehr unterschiedlich. Im Bereich der Logistik sehe ich das Problem, dass klassische Logistikdienstleister und Terminalbetreiber sehr auf ihr Tagesgeschäft fokussiert sind.“ Dabei stellt er fest: „Es gibt zwar vereinzelt Projekte und eine prototypische Implementierung, aber oft kein übergreifendes Digitalisierungskonzept.“ Vor allem an der Zusammenarbeit und Vernetzung der Akteure innerhalb der Logistikkette hapert es aus seiner Sicht, weshalb er für die deutschen Häfen „echten Handlungsbedarf“ sieht.

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Jörg Buck, geschäftsführendes Vorstandsmitglied der Deutsch-Italienischen Handelskammer in Mailand

„Deutschland ist nicht gerade die Speerspitze der Digitalisierung in Europa.“

Klaus Harald Holocher, Professor für europäische Verkehrswirtschaft und Hafenmanagement
an der Jade Hochschule

„Häfen müssen sich an das Klima anpassen“

Mit eben diesem Blick nach vorn hat Stefan Färber, der als Leiter des Geschäftsbereichs Hafenentwicklung und Innovation bei bremenports eine enge Verzahnung zwischen Digitalisierung und Nachhaltigkeit ausgemacht: „Die Häfen der Zukunft sind digitale Konnektoren, intelligente und vernetzte Umschlagspunkte, teilweise mit autonomen und automatisierten Prozessen. Denkbar ist die Digitalisierung der gesamten Lieferkette mit Zero Emission beziehungsweise mit einem möglichst kleinem Carbon-Footprint.“ Als wichtigste Zukunftstechnologien hat er dafür neben dem Internet der Dinge (IOT) und der Anwendung künstlicher Intelligenz (KI) auch Big Data identifiziert. „Diese Entwicklungen haben die Welt um ein Vielfaches dynamischer gemacht und die maritime Wirtschaft vor die Herausforderung gestellt, schneller und einfacher bessere Lösungen anzubieten“, so Färber.

In den bremischen Häfen habe man diese Herausforderung angenommen und mit dem im vergangenen Jahr veröffentlichten „Hafenentwicklungskonzept 2035“ und der im April angelaufenen SmartPort-Kampagne (siehe auch Seite 29), in intensiver Zusammenarbeit mit allen relevanten Stakeholdern wichtige Weichen in Richtung Digitalisierung gestellt.
Vor diesem Hintergrund betont Färber: „Die Rolle der Port Authorities hat sich verändert – vom reinen Vermieter hin zum proaktiven Initiator, der die einzelnen Akteure im Hafen vernetzt und sich an interdisziplinären Projekten beteiligt.“ Zudem werden die Häfen seiner Ansicht nach im Zuge der Sicherstellung der deutschen Energieversorgung weiter an Bedeutung gewinnen: „Wenn die Energiewende durch den Einsatz von Wasserstoff und dessen Derivaten gelingen soll, werden auch hier die Häfen eine nationale Versorgungsaufgabe übernehmen. Im Rahmen der ‚grünen Transformation‘ muss sich also auch die Hafeninfrastruktur an das sich verändernde Klima anpassen“, so Färber.

Beim ersten SmartPort-Workshop am 18. April kamen Vertreter der gesamten maritimen Transportkette zusammen, um ihre Vorstellungen einzubringen.

Alle Beteiligten frühzeitig mit einbinden

Auch Hendric Maasch, Leiter für kaufmännische Angelegenheiten bei NPorts und dem JadeWeserPort, sieht eine Korrelation zwischen Digitalisierung und Klima: „Im Hafen der Zukunft nutzen wir den digitalen Fortschritt in nahezu allen Bereichen. Wesentlich wird die Leistungsfähigkeit der Häfen vom systematischen Data-Mining abhängen und von den Entwicklungen in der Sensorik und Simulation geprägt sein. Davon profitieren logistische Prozesse, die Sicherheit, die Betriebsbereitschaft ebenso wie die Umwelt und das Klima“, umreißt es Maasch. Dabei werden aus seiner Sicht vor allem digitale Technologien gefragt sein, die in der Lage sind, die durch Data-Mining oder KI ermittelten Ergebnisse verständlich für alle Entscheidungsträger aufzubereiten und zu visualisieren. Wie auch Färber betrachtet Maasch es als unausweichlich, alle Beteiligten frühzeitig mit in diesen Entwicklungsprozess einzubinden. „Die hohe Kunst in der Gestaltung der digitalen Transformation besteht darin, Menschen mitzunehmen und ihnen die Vorteile der Digitalisierung verständlich zu machen. Darin sollten wir uns täglich üben“, lautet sein Credo.

Holocher verweist in diesem Kontext darauf, dass Abläufe keinesfalls eins zu eins umgestellt werden sollten. Es gelte vielmehr, die Prozesse auf die veränderten Möglichkeiten und Anforderungen der Digitalisierung zuzuschneiden. „Andernfalls bleibt es ein umständlicher und langwieriger Prozess. Im Hafen spricht man in solchen Fällen auch von ‚Bullshit in – bullshit out‘, so Holocher. Einen guten Weg beschreitet seiner Ansicht nach das Eurogate Container Terminal Wilhelmshaven (CTW), das seinen Containerumschlag gerade vom manuellen Betrieb auf ein automatisiertes System umstellt. „Nachdem Eurogate einige Jahre lang die Einführung fahrerloser Van-Carrier und Straddle-Carrier erprobt hat, stellt das CTW derzeit auf Zwei-Katz-Containerbrücken um, die von Automated Guided Vehicles (AGVs) bedient werden. Damit einher geht eine automatisierte Lagerbedienung“, so Holocher. Dann ergänzt er: „In nicht allzu ferner Zukunft sollten auch die Containerbrücken fahrerlos betrieben werden können, indem sie fernbedient werden. Damit dies funktionieren kann, müssen robuste Sensoren verwendet und wahrscheinlich einige rechtliche Regelungen angepasst werden.“

Jörg Buck, geschäftsführendes Vorstandsmitglied der Deutsch-Italienischen Handelskammer in Mailand

„Klassische Logistikdienstleister und Terminalbetreiber sind sehr auf ihr Tagesgeschäft fokussiert.“

Michael Freitag, geschäftsführender Direktor des BIBA – Bremer Institut für Produktion und Logistik

Jens Tarnowski, Regional CEO Europe bei Hellmann

„Die Häfen der Zukunft sind digitale Konnektoren sowie intelligente und vernetzte Umschlagspunkte.“

Stefan Färber, Leiter des Geschäftsbereichs Hafenentwicklung und Innovation bei bremenports.

„Wettbewerb auf engstem Raum macht wenig Sinn“

„Es wird keine vollständige Automatisierung geben“
Über den Hafen der Zukunft und die dort eingesetzten Technologien sagt Freitag: „Die Zukunftsvision ist der SmartPort, mit autonomen Kranen, Carriern und AGVs sowie mit einem digitalen Zwilling der physischen Prozesse, der wiederum über Plattformen mit den vor- und nachgelagerten Prozessen und Akteuren verbunden sein wird.“ Allerdings werde es seiner Meinung nach keine vollständig automatisierten Häfen geben, da im Tagesgeschäft immer wieder Situationen auftreten würden, in denen der Mensch unverzichtbar sei. „Und genau für diese Interaktionen zwischen Menschen und autonomen Systemen müssen neue Prozesse und Schnittstellen geschaffen werden. Darin sehe ich eine wichtige Forschungs- und Entwicklungsaufgabe der nächsten Jahre.“

Die Schiene fest im Blick: Während „PRINOS“ die Bremische Hafeneisenbahn bei der Planung von Kapazitäten, der Disposition und der Entgeltabrechnung unterstützt, wird beim „Rangierterminal 4.0“ im JadeWeserPort mit dem sprichwörtlichen „Tiger im Tank“ das vollautomatische Rangieren mit einer Lokomotive erprobt.

Vorzeigeprojekte in Niedersachsen und Bremen

Wie mögliche Wege zum „Hafen der Zukunft“ aussehen könnten, zeigt eine Vielzahl unterschiedlicher Digitalisierungs- und Automatisierungsprojekte, an denen die Verantwortlichen in den bremischen und niedersächsischen Häfen gerade arbeiten, damit ihre Standorte auch auf lange Sicht wettbewerbsfähig bleiben. Denn dort weiß man, mit entsprechenden Lösungen können nicht nur die Umschlagszahlen und die Effizienz gesteigert werden, sondern auch komplexe Abläufe vereinfacht, Wartezeiten minimiert und Energieverbräuche gesenkt werden. Außerdem hat sich gezeigt, dass die Einführung neuer Technologien eine bessere digitale Vernetzung zwischen allen an der maritimen Transportkette Beteiligten garantiert.

Aus Bremer Sicht gehören vor allem das Port Information and Operation System, kurz „PRINOS“, das intelligente Hafenlogbuch „Port2Connect“ und die bereits angesprochene SmartPort-Kultur zu den Vorzeigeprojekten. Bei „PRINOS“ handelt es sich um ein Kundenportal mit modularer Systemstruktur, das die Bremische Hafeneisenbahn seit 2022 bei der Planung von Kapazitäten, der Disposition und der Entgeltabrechnung unterstützt. Das intelligente Portal sorgt für eine reibungslose Kommunikation zwischen allen Zugangsberechtigten, Rangierdienstleistern und Terminals, wobei zur digitalen Übermittlung der Daten eine sogenannte TAF-TSI-Schnittstelle zur Verfügung steht. „Port2Connect“ ist im Januar dieses Jahres gestartet und beinhaltet ein intelligentes Hafenlogbuch, das die Schiffe während ihres Aufenthalts im Hafen digital begleitet und überwacht. Dabei werden beispielsweise Positionsdaten durch ein genaues Radarmessungssystem ermittelt und durch Methoden der KI und des maschinellen Lernens zugänglich gemacht. So soll eine effiziente und nachhaltige Nutzung der Hafeninfrastruktur ermöglicht und ein Beitrag zum Umwelt- und Klimaschutz geleistet werden. Deutlich übergeordneter setzt das bereits angesprochene Projekt „SmartPort“ an, mit dem bremenports das Ziel verfolgt, die Leistungsfähigkeit in den bremischen Häfen durch Vernetzung und digitale Lösungen in enger Zusammenarbeit mit den Stakeholdern zu verbessern. Hierzu soll unter anderem in vier Phasen zwischen April dieses Jahres und Februar 2024 eine SmartPort-Community etabliert werden, die die digitale Zukunft der Häfen proaktiv mitgestaltet und eine SmartPort-Strategie mit konkreten Handlungsfeldern erarbeitet.

Jens Tarnowski, Regional CEO Europe bei Hellmann

„Die hohe Kunst in der Gestaltung der digitalen Transformation besteht darin, Menschen mitzunehmen.“

Hendric Maasch, Leiter kaufmännische Angelegenheiten bei NPorts und dem JadeWeserPort

Auch in Niedersachsen hat man an allen Seehafenstandorten längst die Ärmel für vielfältige Digitalisierungsmaßnahmen hochgekrempelt. Dabei zählen insbesondere die in Wilhelmshaven und Cuxhaven laufenden IHATEC-Projekte „Rangierterminal 4.0“ beziehungsweise „SmartKai“ sowie „dashPORT“ in Brake zu den dortigen digitalen Aushängeschildern. So wird beim „Rangierterminal 4.0“ das vollautomatische Rangieren mit einer Lokomotive erprobt, wodurch der Bahnbetrieb nach den Anforderungen des Containerumschlags und unter Umweltgesichtspunkten optimiert werden soll. Das Projekt läuft noch bis Ende Mai. Dann endet ebenfalls das bei NPorts in Cuxhaven getestete Projekt „SmartKai“. Hinter diesem Begriff verbirgt sich ein schiffsunabhängiges Assistenzsystem – sozusagen eine Einparkhilfe für Schiffe. Mithilfe verschiedener Sensoren wird beim Ein- und Auslaufen im Hafengebiet eine kontinuierliche und präzise Bewertung der Position und der Bewegung eines Schiffes ermittelt. Auf diese Weise sollen Havarien und Sachschäden in den Häfen vermieden werden.

Bereits erfolgreich abgeschlossen wurde im September 2022 die digitale Leitwarte „dashPORT“ in Brake, in deren Rahmen eine Softwarelösung entwickelt wurde, mit der Energieverbräuche und -verbraucher im Hafen visualisiert werden. Anhand ihrer Ergebnisse können jeweils geeignete Maßnahmen zur Reduktion von Energieverbräuchen und CO2-Emissionen abgeleitet werden. Das Pilotprojekt, das NPorts, das Fraunhofer-CML, das Oldenburger OFFIS-Institut und die J. MÜLLER AG gemeinsam umgesetzt hatten, wurde bereits beim „MCN Cup 2021“ des Maritimen Clusters Norddeutschland in der Kategorie „Wie lassen sich Häfen und die maritime Logistik nachhaltiger gestalten“ mit dem ersten Preis ausgezeichnet.

Dieser Screenshot zeigt, wie die digitale Leitwarte „dashPORT“ in Brake die Energieverbräuche und -verbraucher im Hafen visualisiert.

Auch wenn diese Projekte nur einen kleinen Eindruck von den vielfältigen Digitalisierungs- und Automatisierungsaktivitäten der niedersächsischen und bremischen Häfen vermitteln können, so zeigen sie doch eines: An den dortigen Standorten ist die Digitalisierung eine mit Leidenschaft gelebte Realität – und nicht eine vage Idee, die mit angezogener Handbremse und im Schneckentempo umgesetzt wird. (bre)

„SmartKai“ ist eine Einparkhilfe für Schiffe. Unsere Fotos geben einen Eindruck davon, wie der Sensor (vorn im Bild) das Schiff in Cuxhaven „einfängt“ und wie sich dieser Vorgang dann auf dem Monitor darstellt.